Die Prosa der Verhältnisse

Die SPD führt eine gedämpfte Debatte um ihre Sicherheits- und Außenpolitik. 90 Prozent der Delegierten stimmen für einen deutschen Militäreinsatz

aus Nürnberg SEVERIN WEILAND

Wolfgang Thierse versuchte eine Annäherung ganz eigener Art. Vor 30 Jahren, erzählte der SPD-Vizevorsitzende den Delegierten, habe er über eine Passage aus Hegels Ästhetik geschrieben. Darin gehe es um das, was die Sozialdemokraten derzeit beschäftige: um einen Konflikt zwischen der „Poesie des Herzens und der Prosa der Verhältnisse“.

Den Gegensatz löste die SPD auf ihrem Bundesparteitag in Nürnberg gestern nüchtern auf: Nach unaufgeregter Debatte stimmten 90 Prozent der über 500 Delegierten für Deutschlands militärische Beteiligung an den Anti-Terror-Maßnahmen. Was noch im Leitantrag stand – Krisenprävention und eine „vorausschauende Friedenspolitik“ – war fast schon Parteitagsprosa. Entscheidend war: Die Partei folgt dem Beschluss der rot-grünen Koalition vom Freitag.

Für Abfederung hatte bereits am Sonntag die Parteitagsregie gesorgt. Aufgenommen wurde in den Leitantrag des Parteivorstandes eine Passage, in der die Verhältnismäßigkeit der eingesetzten militärischen Mittel und die „größtmögliche Vermeidung ziviler Opfer“ beim Kampf gegen die Taliban und al-Qaida angemahnt wird. Gefährdet schien der Beschluss ohnehin nicht.

Am Morgen hatte Gerhard Schröder die Marschroute mit aller Deutlichkeit ausgegeben. Die Delegierten entschieden über die „Bündnisfähigkeit und Politikfähigkeit unserer eigenen Regierung“. Danach trat die rote Heidi, Entwicklungsministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul, ans Podium und referierte den Stand des deutschen Engagements: 96 Millionen Mark für humanitäre Hilfe, weitere 160 Millionen Mark für den Wiederaufbau von Häusern, Schulen und Gesundheitswesen. Applaus, als sie eine Beteiligung der Frauen an der künftigen Ausgestaltung Afghanistans verlangte und versprach, bei den Verhandlungen mit den neuen Machthabern darauf zu achten. Schröder für das staatliche Gewaltmonopol, Wieczorek-Zeul für das Humane – diese Arbeitsteilung ging auf.

Die anschließende Debatte wirkte routiniert, fast ein wenig zu geruhsam für die Entscheidung, die der Bundestag in der vergangenen Woche gefällt hatte und angesichts des Zweifels, der auch in den Reihen der SPD-Fraktion laut geworden war. Zwar kritisierten einzelne Delegierte den Einsatz von Streubomben und Flächenbombardements, auch den unklaren Einsatz der Bundeswehr. Doch waren dies keine grundsätzlichen Fragestellungen, wie sie etwa bei den Grünen am Wochenende in Rostock zu erwarten sind. Bemerkungen wie die des Juso-Vorsitzenden Nils Annen, wonach es kein ausreichendes UN-Mandat für den Afghanistaneinsatz gebe, waren bereits das Äußerste an Kritik, das sich die SPD zumutete.

Der niedersächsische Ministerpräsident Sigmar Gabriel war es, der die Genossen an frühere linke Sozialisaton erinnerte, von seinen eigenen früheren Plakataktionen für die Guerilla in El Salvador sprach. Heute gehe es darum, humanitäre Hilfe und militärische Mittel zusammenzubringen – das sei, griff er frühere Juso-Rhetorik auf, der „Anspruch internationalistischer Politik“. Die Mehrheit der Parteilinken hatte sich ohnehin hinter den Kulissen auf einen moderaten Kurs verständigt. Nicht zuletzt der traditionell linke Bezirksverband Hessen-Süd sorgte für eine Entschärfung: Er zog seinen Antrag zurück, in dem insbesondere der Einsatz von Streubomben in Afghanistan abgelehnt wurde – der Antrag war noch am Vortag von über 120 Delegierten unterschrieben worden. Ein anderes, ähnlich gehaltenes Papier von Parteilinken wurde zur weiteren Beratung an die Internationale Kommission der SPD überwiesen.

Damit waren die wesentlichen Konfliktpunkte entschärft, zumal der Parteitag die Bundesregierung aufforderte, die Entwicklungshilfe von derzeit 0,3 stufenweise auf 0,7 Prozent des Bruttoinlandsprodukts zu erhöhen. „Das ist das Ventil“, meinte ein führender Sozialdemokrat. Die Parteilinken, sie folgten Schröder diszipliniert. Wie etwa Andrea Nahles: Die frühere Juso-Chefin sicherte Schröder ihre Unterstützung erneut zu und kleidete ihre Kritik in behutsame Worte: Angriffe auf den Irak, wie in den USA debattiert, halte sie angesichts der Notwendigkeit, die Allianz gegen den Terror zusammenzuhalten, „nicht für zielführend“. Schröder wird solche Zurückhaltung mit Genugtuung beobachtet haben.

Die eigentlichen Lobesworte kamen an diesem Tag ohnehin von Tony Blair. In seiner Rede vor den Delegierten attestierte der britische Premier Schröder Mut, Kühnheit und Stärke. Deutschland, stützt er des Kanzlers Kurs, könne nicht an einer neuen Weltordnung bauen, ohne seine internationalen Verpflichtungen voll zu erfüllen. In der jetzigen Krise müsse man „Schulter an Schulter stehen“. Das dürfte Schröder gefallen. Seine Partei mag nicht Schulter an Schulter mit ihm stehen. Aber eines hat sie gestern deutlich gemacht: abgerückt ist sie von ihm auch nicht.