: Aufmarsch ins Ungewisse
„In Afghanistan beginnt eine schwierige Periode“, sagt US-Präsident Bush – und meint damit die Ausweitung des Krieges über Zentralasien hinaus
von ERIC CHAUVISTRÉ
Während die politische und mediale Aufmerksamkeit in Europa ganz auf die Vorbereitung der Afghanistan-Konferenz in Berlin gerichtet ist, wird in den USA wieder offener über die nächsten Ziele im so genannten Krieg gegen den Terror debattiert. Alle Mitglieder des inneren Zirkels um Präsident George W. Bush äußerten sich in den letzten Tagen auffällig freimütig zu künftigen Kriegsschauplätzen.
Selbst Außenminister Colin Powell, der innerhalb der Bush-Regierung den zurückhaltenden Part spielt, erinnerte an die Worte des Präsidenten nach den Anschlägen von New York und Washington. „Unser Krieg gegen den Terror beginnt mit al-Qaida, aber er wird dort nicht enden. Er wird nicht enden, bevor jede Terror-gruppe mit weltweiten Verbindungen gefunden, aufgehalten und besiegt ist“, hatte Bush am 20. September vor dem Kongress verkündet. Wenn jetzt auch Powell erklärt, die USA würden „nicht ruhen, bis die Arbeit erledigt und die Zivilisation wieder sicher ist“, lässt das aufhorchen. Nicht nur, weil sein Arbeitsauftrag die diplomatische Rückendeckung der Militäroperationen ist, sondern auch weil er als Chef des Generalsstabs 1991 dafür sorgte, dass Bush Senior die US-Streitkräfte nicht bis Bagdad vorrücken ließ.
Andere Mitglieder der Bush-Regierung favorisieren schon lange den Irak als nächstes Kriegsziel, seit einigen Tagen dürfen sie dies auch wieder öffentlich äußern. Der stellvertretende US-Verteidigungsminister Paul Wolfowitz, der schon 1991 zu denjenigen gehörte, die die US-Armee bis nach Bagdad marschieren lassen wollte, redet schon über neue Ziele. Es gebe „eine ganze Anzahl von Staaten, die Terroristen unterstützen“, sagte Wolfowitz Ende letzter Woche dem Fernsehsender CBS und wurde deutlich: „Saddam Hussein ist einer von denen, aber nicht der Einzige.“
Anfang dieser Woche legte auch sein Vorgesetzter im Pentagon jede diplomatische Zurückhaltung eines Kabinettsmitglieds ab – und brachte gleich zwei mögliche Schauplätze ins Gespräch: „Es steht außer Frage, dass es eine weitgehende Zusammenarbeit gab zwischen Terroristen auf den Philippinen, der al-Qaida, Leuten in Irak und anderen Staaten, die den Terrorismus unterstützen“, sagte Verteidigungsminister Donald Rumsfeld in Washington. Die von US-Einheiten in Afghanistan gesammelten Informationen könnten zu einem neuen Kenntnisstand beitragen, „der in anderen Ländern hilfreich sein kann“.
Auch Bushs Vize Dick Cheney erinnerte in einem BBC-Interview daran, dass die USA auch bereit seien, in anderen Ländern „miltärisch aktiv“ zu werden. Und Sicherheitsberaterin Condoleezza Rice verwies bei CNN darauf, dass Irak schon seit Jahren eine Bedrohung für die „amerikanischen Interessen“ darstellt.
Solange aber die US-Streitkräfte noch in Afghanistan Krieg führen, wäre es für die Bush-Regierung politisch gefährlich, den Krieg auszuweiten. Vorhersagen über die Dauer dieser Phase wagen weder Regierungsvertreter noch Beobachter des Pentagon. Sollte aber demnächst die US-Präsenz in Afghanistan wieder auf kleine Geheimkommandos zurückgefahren werden, dann könnten die USA es wagen, den „Krieg gegen den Terror“ in anderen Ländern weiterzuführen.
Dabei müsste ein neuer Krieg mit Irak nicht notwendigerweise eine Wiederholung des Massenaufmarsches US-amerikanischer Truppen wie 1991 bedeuten. Wahrscheinlicher wäre auch hier wieder eine Kombination von Bombardements mit dem Einsatz von Spezialtruppen. Die regelmäßigen Angriffe der USA und Großbritanniens auf den Süden und den Norden Iraks könnten langsam gesteigert werden.
Neben Irak wird immer wieder Somalia als ein mögliches nächstes Ziel genannt. Auch hier würde der Krieg wohl von Spezialeinheiten geführt werden.
Mit dem Land am Horn von Afrika, das als Rückzugsgebiet für al-Quaida gilt, haben einige Leute im Pentagon ohnehin noch eine Rechnung offen. Die misslungene Festnahme von Aideed im Oktober 1993 war die wohl größte Blamage der US-Spezialeinheiten der letzten Jahre. Die Bilder von durch Mogadischu gezogenen Leichen von US-Soldaten sind noch gut im Gedächtnis.
Der Clinton-Regierung hatten konservative Republikaner stets vorgeworfen, sich zu sehr um die Probleme in Somalia, Kosovo und sonstwo zu kümmern – und dabei die Sicherheit des eigenen Landes zu vernachlässigen. Würde sich die Bush-Regierung nun etwa an einer Nachkriegslösung für Afghanistan aktiv beteiligen, würde sie genau denselben „Fehler“ begehen. Während die europäischen Regierungen die Notwendigkeit des Neuaufbaus in Afghanistan in den Vordergrund stellen, spielt dies für die US-Regierung nur eine nachgeordnete Rolle. Hier zählen innenpolitische Aspekte.
„Ich möchte es den Amerikanern klar machen, dass auf dem Kriegsschauplatz in Afghanistan eine schwierige Zeitperiode beginnt“, sagte Präsident Bush am Dienstag. Ist die Aufgabe aus Sicht der USA in Afghanistan aber erst einmal erledigt und haben französische, britische oder andere Truppen die Kontrolle Afghanistans übernommen, wird ein Krieg in Somalia und Irak durchaus denkbar. Auch eine deutsche Beteiligung daran wäre nicht ausgeschlossen. Schließlich wird der von der Bundesregierung zur Verfügung gestellte Flottenverband in die Region des Arabischen Golfs verlegt – nah an Irak und Somalia.
Sollte sich die US-Regierung zu Interventionen in weiteren Ländern entschließen, die europäischen Alliierten aber bei ihren Bedenken bleiben, hilft wieder der freundliche Hinweis auf Bushs Drohung vom 20. September: „Von diesem Tag an wird jede Nation, die weiterhin Terroristen beherbergt oder unterstützt, von den Vereinigten Staaten als feindliches Regime angesehen.“ Und gegen feindliche Regime führt man eben zuweilen Krieg.
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