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Verrückt, verrückt, verrückt
: Die Universalität des Wahnsinns

Eigentlich war man sich dessen schon seit längerem sicher, doch die Ereignisse der letzten Wochen machten es noch einmal deutlich: Die Welt ist verrückt. Das zeigte sich in der Oberfläche wie im Detail, in den Einzelerscheinungen wie im Massenphänomen, auf höchster weltpolitischer Ebene wie im Privaten, in der Öffentlichkeit wie in den Nischen, im Trend und im Gegentrend, in den Zusammenhängen, den Analysen, den Schlussfolgerungen – allein die Feststellung, dass nichts der Verrücktheit entgeht, dass sie sozusagen von einer universellen Qualität ist, scheint in diesem Zusammenhand vernünftig und verrückt zugleich, was ein Beweis für die Ambivalenz des Wahnsinns ist.

Zu den Beispielen: Die USA, England, Deutschland und überhaupt fast alle westlichen Länder spielen derzeit komplett verrückt und lassen ihren Wahn um das generalverwirrte Land Afghanistan kreisen, von dem es scheint, als hätte es den letzten Hauch von Vernunft schon vor Jahrzehnten vor seinen Grenzen geparkt. Und als sei die Akkumulation ernsthafter Verrücktheiten nicht genug, scheinen die in diesem Zusammenhang geäußerten und hinreichend unvernünftigen, um nicht zu sagen, kopfschrägen Überlegungen, Diskussionen um, zu und über notwendige Eingriffe und Angriffe sowie Gesetzesänderungen und Gesetzesänderungsvorschläge zu Gunsten unserer und unser aller Sicherheit manche zu noch kopfschrägeren Überlegungen, Diskussionen und Meinungen zu inspirieren. So hat Katharina Rutschky, von der man mit letzter Sicherheit nur sagen kann, dass sie Hunde mag, sich neulich in einem Artikel in der Berliner Zeitung über das Phänomen des Altersstarrsinns (ausgerechnet) zu der Behauptung hinreißen lassen, dass Gerhard Schröder – nicht irgendein Gerhard Schröder, sondern tatsächlich unser Kanzler – als Mann eine gute Figur mache. Verrückt! Dem Artikel folgte dann ein Hinweis, dass die Kämpferin gegen Altersstarrsinn gerade irgendeine Erklärung unterzeichnet habe – so wie so genannte Intellektuelle immer irgendwelche Erklärungen unterzeichnen müssen –, in der sie ihre Unterschrift neben die von Wolf Biermann setzte.

Der Altersstarrsinn, die Rutschky und der Biermann – überhaupt gehört das Comeback, das Wolf Biermann kürzlich erlebte, gewiss zu der seltsamsten Verrücktheit der vergangenen Wochen – und zwar nicht nur als solche, sondern auch deshalb, weil manche, vermutlich Verrückte, meinten, dass dem etwas Relevantes oder auch nur Bemerkenswertes abzugewinnen sei. Wenn die Zeiten vernünftig wären, würde er schnell wieder abtauchen und sich erst dann wieder zu Wort melden, wenn sich seine Ausbürgerung (die zumindest nach formalästhetischen Gesichtspunkten logisch war) in einem Vierteljahrhundert zum 50. Mal jährt.

Ob Harry Potter als Figur verrückt ist, lässt sich nicht so genau sagen, jedenfalls gilt es als sicher, dass die Welt nach Harry Potter verrückt ist. Die Marktstrategen haben seinen Angriff auf die Welt klugerweise in die Vorweihnachtszeit gelegt, doch nun, das ist wirklich ziemlich verrückt, scheint sich die Vorweihnachtszeit (als Stimmung) in diesem Jahr der Vorweihnachtszeit (als Zeit) zu verweigern. Ob das nun an der weltpolitischen Situation liegt oder vielleicht sogar Harry Potter selbst, ist nur schwer zu klären. An Katharina Rutschky, Wolf Biermann und dem Altersstarrsinn liegt es jedenfalls nicht. Wahrscheinlich liegt es sogar am Wetter. Denn dass dieser Herbst statt winterlich vor allem herbstlich ist und damit die Zeit irgendwie ohne jeden Sinnzusammenhang wie eingefroren scheint, weil sie sich nicht mehr selbst vorauseilt, ist das Verrückteste überhaupt. HARALD PETERS