Alles unter einem Dach

Die vor 50 Jahren gegründeten Nachbarschaftsheime wurden zu Kiezwohnzimmern

Ein „Wohnzimmer“, in dem sich alle Bewohner des Viertels niederlassen können – diese Idee wurde vor genau 50 Jahren geboren. Mit dem ursprünglichen Ziel, demokratische Prozesse im materiell und moralisch zerstörten Nachkriegsdeutschland in Gang zu setzen, gründeten zwölf Einrichtungen aus Westdeutschland im Berliner Mittelhof den „Verband deutscher Nachbarschaftsheime“. Das Jubiläum begeht der Zusammenschluss, der sich heute „Verband für sozial-kulturelle Arbeit“ nennt, noch bis Samstag mit einer Reihe von Diskussionsrunden und einem Fest (siehe Kasten).

Allein in Berlin gibt es heute 40 Nachbarschaftsheime. Sie kümmern sich zum Beispiel um Betreuungsangebote für Kinder aller Altersstufen. Kindertagesstätten, Hausaufgabenhilfe, Jugendfreizeitaktivitäten und Berufsberatung haben hier einen festen Sitz. Außerdem unterstützen sie Selbsthilfegruppen und Bürgerversammlungen, stellen Initiativen und Aktionsbündnissen Räume zur Verfügung.

Viele Heime sind darüberhinaus in der Krankenpflege engagiert, leisten Sterbebegleitung im Hospiz oder versorgen Schwerkranke. Sportkurse, Theatergruppen, Seniorentreffs finden häufig direkt neben türkischen Tanzgruppen oder kurdischen Spielclubs statt.

Dabei stehen nicht nur fest angestellte Mitarbeiter zur Verfügung. Ehrenamtliche Helfer aller Altersklassen und Nationalitäten engagieren sich auf fast allen Feldern. Die Tatsache, dass die Nachbarschaftsheime weder konfessionell noch parteipolitisch festgelegt sind, gibt ihnen einen integrativen Charakter. Das Prinzip „Alles unter einem Dach“ führt Gruppen zusammen, die sich traditionell skeptisch gegenüber stehen.

Finanziert werden die Heime hauptsächlich aus öffentlichen Töpfen. Seit 1996 wurden 15 Prozent der Zuwendungen gestrichen. „Und wir befürchten Schlimmstes“, meint Herbert Scherer vom Verband Deutscher Nachbarschaftsheime. Trotzdem verzeichnen die Heime besonders in den letzten fünf Jahren einen verstärkten Zulauf. „Das Engagement in der Bevölkerung ist gewaltig, solange man sie zu nichts zwingt“, erklärt Scherer. Und: „Das Prinzip der Toleranz hält intolerante Gruppen langfristig fern.“ TINA BUCEK

Mehr Infos und Adressen der Nachbarschaftheime unter www.stadtteilzentren.de/berlin.htm