Es geht um mehr als die Wurst

Für die einen war es ein GAU, für die anderen nur Hysterie: Neue Erkenntnisse über BSE gibt es auch ein Jahr nach den ersten Fällen in Deutschland nicht

von REINER METZGER

Ein Jahr ist es her, seit beim ersten echt deutschen Rind offiziell BSE festgestellt wurde: Am 24. November 2000 wurde eine Mutterkuh eines schleswig-holsteinischen Familienbetriebs positiv getestet. Die Bovine Spongiforme Enzephalopathie (vulgo Rinderwahn) hatte Deutschland erreicht, das zentrale und größte Land der Europäischen Union. Noch Tage vorher hatten Landwirtschaftsminister und Bauernverband gebetsmühlenartig betont, das deutsche Fleisch sei hundertprozentig sicher. Der Schock kostete Bauern und Fleischindustrie viel Geld, denn die Verbraucher reagierten mit drastisch reduziertem Fleischkonsum. Inzwischen essen sie zwar wieder annähernd so viel Steak wie vor der BSE-Krise. Darüber ist die Fleischlobby jedoch nur halb begeistert – langfristig schlimmer als der Absatzeinbruch war für sie der erzwungene Abgang des Landwirtschaftsministers Karl-Heinz Funke am 9. Januar 2001. Denn die Nachfolgerin Renate Künast war nicht nur die erste Nichtlandwirtin im Amt, sie war gar eine Grüne und ab sofort Verbraucherministerin. Bis heute haben der Deutsche Bauernverband und seine Funktionäre das nicht verarbeitet.

Wirklich schlauer sind weder Forscher noch Verbraucher nach einem Jahr BSE in Deutschland und schon 15 Jahren BSE in Großbritannien. Es gibt zwar seit Anfang Dezember 2000 flächendeckende BSE-Tests bei geschlachteten Rindern, die älter sind als 24 Monate. Auch wird der Weg eines Hornviehs vom Kalben bis zum Schlachthof inzwischen genau verfolgt. Doch wie sich die Tiere infizieren, wie lange es dauert, bis die Krankheit ausbricht und wie ansteckend sie für den Menschen wirklich ist – darüber gibt es nur Theorien, bestenfalls ein paar genauere Hinweise aus der Praxis.

Briten wissen auch nicht mehr

Auch die Briten können hier nicht weiterhelfen, obwohl sie den Rinderwahn seit 1986 kennen. Als Hauptübertragungsweg gilt Tiermehl – also die Verfütterung von verkochten, getrockneten und zerriebenen Kadavern zum billigen Eiweißlieferanten. Tiermehl durfte in konventioneller Haltung bis 1994 auch an Wiederkäuer, also an Pflanzenfresser verfüttert werden. Ab Ende 2000 gilt EU-weit ein absolutes Verfütterungsverbot für Landtiere, allerdings nur befristet bis zum 1. Juli 2003. Die Bauern werden auf jeden Fall noch eine Weile mit niedrigen Erzeugerpreisen für Rindfleisch leben müssen. Die sollen sich ja eh auf eine „gute“ Wirtschaftsweise umstellen, dann wird es schon besser, meint der gemeine Verbraucher. Doch für die Landwirte steckt der Teufel im Detail der verworrenen Agrarmärkte. Eine falsche Investition, und der Betrieb ist pleite. Und die Berater sind noch die Gleichen wie eh und je. In seinem Agrarwendepapier vom Anfang des Jahres stellte bereits das Bundeskanzleramt in Frage, „ob die jetzigen Beratungsstrukturen willens und fähig sind, die Umsetzung der neuen Ausrichtung zu tragen“.

Diesen Verdacht bestätigt nun eine Studie des Instituts für Ökologische Wirtschaftsforschung (IÖW) im Auftrag des Naturschutzbundes. Demnach blockieren die Landwirtschaftskammern den Übergang zu einer mehr oder weniger ökologischen Agrarwirtschaft. Vor allem der Deutsche Bauernverband dominiert die Kammern und bestimmt so auch über Fördergelder mit.

Trotz alledem kann Ministerin Künast mit Recht sagen, deutsches Rindfleisch sei „heute sicherer als es je war“ – früher wurde ja kaum getestet, heute Millionen Schlachtrinder pro Jahr. Und Tiermehl wird nicht mehr verfüttert. Zwischen Infektion und Ausbruch der Krankheit vergehen bei Bullen und Kühen allerdings nach Vermutungen der Forscher vier bis sechs Jahre. Selbst wenn die ergriffenen Maßnahmen wirksam sind, werden noch jahrelang infizierte Tiere auftauchen. „Die Gefahr ist noch nicht gebannt“, meinte denn auch Künast am Mittwoch in Berlin. Allerdings sei sie so gering, dass man „zu Weihnachten ruhig über Rinderbraten nachdenken“ dürfe.

Warum die Geheimhaltung?

Beobachter fragen sich allerdings, warum denn – bei so viel offizieller Zuversicht – die Bundesländer zunehmend die genauen Daten der BSE-Fälle (Herkunft, Fütterung, Krankheitsbild) geheim halten. Nach fünfzehn Jahren Forschung wissen die Mediziner nicht einmal, wie die menschliche BSE-Variante (Creutzfeldt-Jakob-Krankheit) überhaupt entsteht. Über 100 Menschen sind in Großbritannien bisher nachweislich an BSE gestorben – bzw. an der so genannten neuen Variante der Krankheit, kurz nvCJK.

In Deutschland gibt es bisher noch keinen bestätigten Fall. Experten rechnen jedoch mit einer gewissen Dunkelziffer, da die Symptome sich mit anderen Krankheiten überschneiden.

Und es lauern noch neue Enthüllungen: bei Schafen. Es gibt zwar jährlich Tausende von torkelnden und wahnsinnigen Schafen weltweit – das wird jedoch von Behörden und Schafzüchtern nicht auf BSE, sondern auf die altbekannte Gehirnschwammkrankheit Scrapie geschoben – ohne Tests an jedem erkrankten Tier eine fahrlässige Vermutung. Immerhin beschloss die EU auf Druck aus Bonn ein Überwachungsprogramm. Ab Januar werden auch Schafe auf BSE gestestet, wenn auch nur stichprobenartig.

So soll verhindert werden, dass es hier geht wie bei den Rindern: Schon 1990 hatte Margrit Herbst, eine Tierärztin in Schleswig-Holstein, auf klare BSE-Verdachtsfälle bei Kühen in einem Schlachthof hingewiesen. Die Behörden wiegelten ab und testeten auch keineswegs ausreichend. Als sich die Tierärztin nicht zum Schweigen bringen ließ, wurde sie entlassen, nicht etwa der Landesminister. Das immerhin wäre heute hoffentlich anders.

Buchtipp: Irene Soltwedel-Schäfer undKari Köster-Lösche, „Das BSE-Komplott“,Bad Dürkheim 2001, kostet 29,80 Mark Internetadressen: Bundesforschungsanstalt für die Viruskrankheiten der Tiere:www.dainet.de/bfavBritischer BSE-Bericht:www.bse.org.ukStudie der Forscherin Köster-Lösche:home.t-online.de/home/koeloeWer mit wem in der Landwirtschaft: