Still alive

Überlebender seines eigenen Mythos: Im Babylon-Mitte ist die bislang umfangreichste Werkschau von Alex Hammid alias Alexander Hackenschmied zu sehen. Einige Filme des Filmpioniers sind jetzt in Berlin zum ersten Mal zu sehen

Es leben auf diesem Planeten noch Menschen, die in unmittelbarer Weise den Zeitgeist des 20. Jahrhundert geprägt haben. Es gibt sie noch, diese Überlebenden eines „anderen“ Kinos, deren Ideen und Innovationen von der Industrie absorbiert worden sind, während sie selbst als Urheber zwar in Lexikoneintragungen überliefert werden, persönlich aber kaum je eine angemessene Würdigung erfahren haben.

Die meisten dieser lebenden Fossilien flüchteten vor dem Nationalsozialismus nach Nordamerika, wurden mehr oder weniger unfreiwillig zu Exporteuren des filmischen Ungehorsams. Oskar Fischinger und Hans Richter sind schon vor vielen Jahren verstorben. Andere Exponenten dieses Kulturtransfers leben noch. So bewohnt Amos Vogel, der 1947 mit dem „Cinema 16“ in New York das erste Kino überhaupt gründete, in dem Underground- und Avantgardefilme regelmäßig zur Aufführung gebracht wurden und der 1973 das Grundlagenwerk „Film as a Subversive Art“ veröffentlichte, mit seiner Frau Marcia noch immer jenes Apartment am New Yorker Washington Square, das seine Eltern in den 40er-Jahren angemietet hatten.

Als ich ihn dort im Mai dieses Jahres besuchte, erzählte er mir von Alex Hammid. immerhin von dem Mann, der 1943 die Kamera für Maya Derens „M“ geführt hat – der als Geburtsstunde des US-amerikanischen Undergroundfilms gilt. Erst vergangene Woche hatte er Alex Hammid alias Alexander Hackenschmied beim Spazierengehen im Village getroffen.

Nun veranstaltet das Babylon in Mitte die bislang umfangreichste Werkschau des in Vergessenheit geratenen Mythos. Dass die Veranstalter nicht wußten, dass das Subjekt ihrer Würdigung noch unter den Lebenden weilt und sich deshalb nicht um eine Einladung für ihn bemühten, spricht wiederum für sich.

Alexander Hackenschmied wird 1907 in Linz geboren, siedelt aber noch als Kind ins multikulturelle Prag über. Das dort dominierende, für immer verlorene Gemisch aus deutscher, jüdischer und tschechischer Kultur prägt den Heranwachsenden, schnell wird er selbst Teil dieser kosmopolitischen Mixtur. Nachdem er bereits 1929 als Kameramann für Gustav Machatys Spielfilm „Erotikon“ gearbeitet hat, realisiert er ein Jahr später seinen ersten eigenen Kurzfilm, den programmatisch betitelten „Bezúcelná Procházka“ („Zielloser Spaziergang“). Der junge Mann hat Kontakte zur berühmten, von André Breton persönlich „autorisierten“ Surrealistengruppe um Vitezlav Nezval und den späteren Nobelpreisträger Jaroslav Seifert, er realisiert eine Reihe experimenteller Kurzfilme und veröffentlicht zahlreiche Filmkritiken. 1937 dreht er für den Schuh- und Reifenfabrikanten Tomas Bata den inzwischen legendären Werbespot „Die Straße singt“.

Unmittelbar vor der durch das Münchner Abkommen eingeleiteten Auflösung der Tschechoslowakei dreht Hackenschmied 1938 mit Herbert Kline die politische Dokumentation „Crisis“ über die pronazistischen Aktivitäten der Sudetendeutschen Partei. Das Material ist so brisant, dass sich die Filmemacher wochenlang verstecken und schließlich über Paris in die USA fliehen.

Im Emigrantenmilieu lernt Hackenschmied die aus Rußland ausgewanderte Lyrikerin und Tänzerin Maya Deren kennen. Die beiden verlieben sich und heiraten. Im gemeinsamen Wohnhaus in Los Angeles konzipieren sie 1943 ihren Experimentalfilm „Meshes of the afternoon“ – einen der schönsten, vom lyrischen Gestus her am meisten komprimierten Filme, die es bis heute gibt.

Die Ehe der beiden hält nur bis 1947, erweist sich in filmischer Hinsicht aber als überaus produktiv. Er habe nur die Kamera geführt, und dies nicht einmal durchgehend, relativierte Hackenschmid, der sich inzwischen Hammid nennt, später seinen Einfluß auf Filme wie „At Land“ (1944) oder „Ritual in transfigured Time“ (1946) – bei denen er tatsächlich Regisseur, Kameramann und Cutter war.

Nach der Scheidung und dem Umzug nach New York ist Hammid im Filmstudio der UNO tätig, beteiligt sich an der Entwicklung der IMAX-Technik und widmet sich weiterhin den eigenen, unabhängigen Filmen (der zusammen mit dem Dokumentarfilmer Francis Thompson gedrehte „To be alive!“ erhält 1966 einen Oscar als bester Kurzfilm).

Mitte der achtziger Jahre zieht sich Alex Hammid aus der aktiven Filmarbeit zurück. Die Werkschau im Babylon umfaßt alle Perioden seines umfangreichen Schaffens. Einige der Filme sind überhaupt zum ersten Mal in Berlin zu sehen. In dem ebenfalls gezeigten Dokumentarfilm „Aimless Walk – Alexander Hammid“ von Martina Kudlacek sieht man einen wortkargen, akkuraten Greis mit schlohweißem Haar in seiner New Yorker Wohnung hantieren oder mit der U-Bahn durch die Stadt fahren. Die Bilder seines Alltags sind mit Aufnahmen aus den berühmten Filmen verschnitten. Auf seine Liebe zum Stummfilm bezogen, murmelt er einmal ins Mikrofon: „I don’t like to talk.“ Man glaubt es ihm aufs Wort. CLAUS LÖSER

Werkschau Alexander Hackenschmid, 26. bis 30. November im Babylon am Rosa-Luxemburg-Platz. Das Tschechische Zentrum zeigt noch bis 4. Dezember eine Ausstellung mit Fotografien von Alexander Hackenschmied