die stimme der korrektur
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Korrekturlesen bringt erstaunliche Probleme mit sich, zum Beispiel das „Bindestrichproblem“.

Kann den LeserInnen zugemutet werden, das Wort Halsschmerzen im Ganzen zu erkennen, oder sollte es zur besseren Lesbarkeit Hals-Schmerzen geschrieben werden? Das ist eine Übertreibung. Aber gelegentlich frage ich mich, ob es eine innere Beziehung gibt zwischen der Begeisterung bestimmter Menschen für Sushi-Häppchen und die Aufsplitterung der Welt in viele mit Bindestrichen verbundene Silben oder auch durch Dots, so genannte Punkte, zerrissene Wörter.

Wir lösen auf, was zusammengehört, wir trennen den Hand- vom Kopfarbeiter, die Gesellschaft von der Psyche der Einzelnen, die Staatsausgaben für Kriegführung von der Schließung einer Klinik in Berlin-Moabit, die Ökonomie von der Politik, die Politik von der Moral.

Nach der Arbeit sehe ich im Fernsehen einen Airbus 300, ein Flugzeug der Art, wie es kürzlich auf ein Arbeiterviertel New Yorks herunterfiel. Flugschneisen führen immer über Arbeiterviertel. Bestürzt stelle ich fest, dass unsere kollektiv getroffene Korrektoratsentscheidung falsch war, diesen Flieger als A-300 mit einem Bindestrich zu versehen. Der Irrtum ist erklärlich, da ein amerikanischer Bomber lose mit einem Hyphen an die Fiftytwo gekoppelt ist. Das ist übrigens das Kampfflugzeug, das im Vietnamkrieg Krankenhäuser und dann die Deckung suchenden Menschen zerschoss. So wie der B-52 jetzt die militärischen Ziele mit dem Roten Kreuz in Afghanistan beseitigt.

Auch der Daisy-Cutter oder Gänseblümchenmäher ist wieder im Einsatz – diese Bombe, die zwei Fußballfelder inklusive der Menschen darauf mit einem Schlag rodet. Als die GIs in Vietnam begriffen und begannen, ihre Offiziere umzulegen, sangen sie voll wütender Ironie über ihre „Mission“: Such dir ein Feld mit flüchtenden Charlies (Vietnamesen meinten sie, oder Gooks, zu Deutsch „Schlitzaugen“) / Wirf hier einen Gänseblümchenmäher ab / Schau, wie die Körperteile fliegen!

Sie sangen auch von der süßen, schwangeren Lady, die sie mit ihrer Zwanzig-Millimeter-Mike-Mike durchsiebten. Das können jetzt in Afghanistan die deutschen Jungs und Mädels von der Bundeswehr erledigen.

Jedenfalls sah ich anschließend im Fernsehen noch den Grünen Rezzo Schlauch, die Zunge schon schwer, bei Sekt und Sushi nach der gewonnenen Kanzlerfrage den Sieg über die Kriegsgegner feiern. Aber zweifellos ist es unmoralisch, Vietnam und Afghanistan zusammenzufügen. Kein Zusammen-Hang. ROSEMARIE NÜNNING