Karaoke auf russisch

■ Eine Misswahl um Mitternacht war der Höhepunkt: An diesem Wochenende trafen sich rund 3.000 Deutsch-Russen in der Bremer Stadthalle

Bremer Spezialitäten waren nicht gerade gefragt: Der Stand mit den Fischbrötchen in der Stadthalle blieb den ganzen Samstag lang leer, auch die Lakritze an der Ecke wollte niemand haben. Beim „Treffen der Landsleute“ zogen die meistenlieber die heimische Küche vor. Borschtsch. Oder Wodka oder Bier.

Ein „Wiedersehen“ mit Wahl der „Miss russischen Schönheit“ hatte der Veranstalter Constantin Reminski seinen Leuten versprochen: Den Deutsch-Russen, die vor acht oder zehn Jahren aus Sibirien oder Kasachstan nach Norddeutschland gekommen sind. Für einen Tag war Bremen schnell vergessen, mutierte die Stadthalle zur alten Heimat. Wo Fischbrötchen nicht hingehörten.

Dafür aber Karakoe und alte Schlager. Kyrillische Zeitungen. Programm und Tanz ganz auf russisch, sibirische Schönheiten in knappen Kleidchen, der Rest trägt maßgeschneiderte Finanzierungsangebote für den nächsten Hauskauf unterm Arm. Nach Hamburg und Hannover (mit 5.500 Besuchern) strömten jetzt rund 3.000 RussInnen zum Heimat-Fest nach Bremen. Jung und alt. Die einen schick mit Schmuck, die anderen noch mit Kopftücher und Faltenröcken. Im russischen Supermarkt, in der russischen Zeitung, und mit Plakaten hat Reminski für sein Heimat-Treffen geworben. „Es gibt eine separate russische Infrastruktur“, erklärt er. Über die er wunderbar an Kunden kommt.

„Man freut sich, im fremden Land auf Gleichgesinnte zu treffen“, sagt Julia. Die 20-Jährige war im Oktober schon in Hamburg beim „Treffen der Landsleute“. Hier, sagt sie, sieht man eben Leute, denen man zum letzten Mal zu Hause in Omsk begegnet ist.

Aber auch Rose Kröner aus Achim ist da. Eine Deutsche, die im nächsten Jahr mit dem Rad nach Kaliningrad will. „Man muss sich ja für seine Nachbarn interessieren“, sagt sie und steht Schlange bei Hansa-Mag, um schon mal die russische Küche zu probieren. Inzwischen tönt Elvis „Jailhouse Rock“ aus der Halle und viel zu viel seichte Popmusik. Je länger der Abend, desto schneller die Musik, hat Veranstalter Reminski geplant. „Ab 23 Uhr ist hier Disko – für die Jungen.“ Ein 70-Jähriger flieht vor soviel westlichem Einfluss derweil ins Foyer, zurück zur russischen Folklore, wo ein junges Mädchen Karaoke singt.

Für ein Wiedersehen allein würde sich der Aufwand für den 32-Jährigen Reminski aber kaum lohnen. Der gebürtige Russe leitet die WerbeTrend Agentur in Hannover. Und ist Spezialist inzwsichen für „multikulturelles Marketing“, wie er sein Geschäft nennt.

Und das heißt: die circa 3,5 Millionen Russen in Deutschland als neue Kunden zu erobern. 25.000 Mark muss Reminski mit kräftiger Unterstützung von sechs Sponsoren allein für die Halle in Bremen aufbringen. Dafür dürfen Sponsoren hier ihre Produkte an die Russen bringen: Baufinanzierung auf russisch beispielsweise, ein Reisebüro mit zahlreichen Angeboten Richtung Ural, eine Rolls-Royce-Vermietung. Was der Kunde eben so braucht.

Der „Chauffeur-Service“ mit Rolls-Royce ist zum ersten Mal hier. „Russen,“ sagt Inhaber Udo Krahlherr, „hatten wir bislang noch nicht als Kunden ins Auge gefasst.“ Aber man könne das ja mal probieren. Verkauft hat er bislang noch nichts, noch keine einzige Spritztour mit der edler Kutsche in der Ecke. „Hier geht es aber vor allem ums Präsentieren, nicht ums Verkaufen.“

„Russen verfügen über sehr viel Eigenkapital“, meint Andreas Oster von der Bausparkasse BHW. Häuser sollen sie außerdem gerne kaufen. Also ist er ganz spontan noch am Mittwoch als Sponsor dazu gekommen. Zu russisch-sprachigen Broschüren hat es da zwar nicht mehr gereicht, „aber beim nächsten Mal“.

Dafür hat Oster Russen im Vertrieb, „für den schnelleren Kontakt zum Kunden“. Denn die aus dem fernen Osten, das weiß er aus Erfahrungen, verraten im Gegensatz zu Deutschen, nicht so schnell ihre Adresse.

Die 49-jährige Galana stört das Drumherum aus Werbung und Prospekten nicht. Sie hofft, dass es nächstes Jahr wieder ein Landstreffen gibt. Was auch geplant wird, wenn die Zahlen stimmen.

Dorothee Krumpipe