Einige denken an Rückzug

Für viele Delegierte beginnt der Kummer erst nach dem grünen Parteitag, wenn sie sich ihren Kreisverbänden stellen müssen

aus Rostock MATTHIAS URBACH

Es hatte etwas Symbolisches: Als Christian Ströbele gestern, am Morgen nach seiner Abstimmungsniederlage, wieder in die Stadthalle in Rostock zurückkehren will, versperrt ihm ein Sicherheitsbeamter den Weg. Ströbele ist verärgert, dass er nicht erkannt wird. Fünf Minuten dauert der Streit, bis ein grüner Offizieller Ströbele hineinlotst.

Drinnen lächelt Ströbele wieder. Nein, er sei nicht resigniert. Er bastelt mit der Grünen Jugend bereits einen Aufruf an die Pazifisten, die Partei jetzt nicht zu verlassen. Seine Mitstreiter sollen künftig nicht außen vor bleiben, wie jene Pazifisten, die auf dem Parteitag demonstrieren wollten – und die tatsächlich draußen bleiben mussten.

Auch Ströbele hat überrascht, dass die Mehrheit für den Antrag des Bundesvorstands so deutlich war, dass ein Konkurrenzantrag, der den Einsatz klar bejahte, ebenfalls eine Mehrheit einfuhr. Doch ihn frustriert das nicht. „Dann müssen wir es das nächste Mal eben besser machen.“ Andere sind deutlich getroffen. Etwa Winfried Hermann, der im Bundestag wie Ströbele gegen den Einsatz stimmte. „Der Platz, auf dem wir acht Kriegsgegner standen“, sagt er, „ist auf einen Schlag sehr klein geworden.“

Christian Simmert und Annelie Buntenbach haben bereits angekündigt, nicht wieder zu kandidieren. „Wie wird nun die neue Bundestagsfraktion aussehen?“, fragt Hermann. Erstmals geht auch ihm der Gedanke an Rückzug durch den Kopf.

Diese Frage stellen sich in den Kreisverbänden nun auch einige. Im Kreisverband Wuppertal etwa hatte die Mitgliederversammlung mit 34:1 gegen den Afghanistan-Einsatz gestimmt. Zwei Drittel waren sogar bereit, in einer kombinierten Abstimmung zu Vertrauensfrage und Bundeswehreinsatz, zur Not die Koalition aufzukündigen. „Am Dienstag wird es bei uns heiß hergehen“, sagt die Wuppertaler Delegierte Pia Hammel. „Austritte wird es sowieso geben, manche reden von Auflösung – aber das ist noch völlig unklar.“ Auch im KV Krefeld haben mehrere Mitglieder für den nun eingetretenen Fall ihren Austritt angekündigt. „Das sind leider vor allem welche von den Aktiveren“, so Kreisvorständlerin Barbara Behr.

Ein beträchtlicher Teil der Delegierten hat dem Kanzler die Verknüpfung von Vertrauensfrage und Einsatz übel genommen. Auch wenn es nicht die Mehrheit war, wie die große Zustimmung zum Antrag von Ralf Fücks und Daniel Cohn-Bendit zeigt, die sich klar hinter die Militärintervention stellten. Es gibt eben auch jene andere Seite bei den Grünen. Die Realpolitiker, die das ewige Schwanken leid sind. Wie etwa Martin Schmidt, Realo-Urgestein aus dem Hamburger Kreisverband Altona, der ebenfalls gespannt auf die Entscheidung gewartet hatte. Auch er hatte an Rückzug gedacht. „Entweder es geht gut, oder es waren schöne 20 Jahre.“ Für Schmidt hat sich der Kanzler um „Klarheit und Wahrheit bei den Grünen verdient“ gemacht. Nur deshalb habe sich seine Partei wirklich stellen müssen. „Diese ewige Gewissensstrapazierung ist doch peinlich.“

Ähnlich dachten viele. Doch der Bundesvorstand tat gut daran, einen versöhnlichen Weg einzuschlagen. Denn er darf die Partei nicht zerbröseln lassen. Zwar war gestern nicht von vielen Austritten die Rede – anders als nach der Kosovo-Entscheidung. Doch viele gehen in die innere Emigration. Der Effekt ist für die Kreisverbände derselbe: Die Personaldecke ist überall dünn. Meist sind es 10 bis 20 Aktive, jeder mit irgendeinem Posten: Stadtrat, Gemeinderat oder Parteivorstand. Dabei ist es oft zu einer Art „Familienbildung“ gekommen, haben sich politisch sehr homogene Kreisverbände wie der KV Wuppertal gebildet. Auch wenn in der Gesamtpartei die Kriegsgegner in der klaren Minderheit sind, so kann es doch hier und dort verheerende Folgen für die Arbeit haben, wo sich Kriegsgegner konzentrieren. „Die Bereitschaft zum Wahlkampf schwindet“, berichtet Andreas Schneider vom KV Rems bei Stuttgart. „Das könnte am Ende den Ausschlag geben, dass wir nicht über fünf Prozent kommen.“

Selbst für Befürworter ist es schwer, dem äußeren Druck standzuhalten, vor allem dem Liebesentzug der Initiativen. „Wir haben viele verzagte Kreisverbände“, berichtet der sächsische Landesgeschäftsführer Andreas Jahnel, „weil sie keine positive Resonanz mehr bekommen.“ Viele Grüne an der Basis hätten es schon aufgegeben, Erfolge weiterzuvermitteln, weil sie selbst so unzufrieden mit dem Erreichten seien. Da ist es fraglich, ob der Schwung hilft, den Realpolitiker wie Martin Schmidt mitnehmen. Der freut sich nun „auf die nächsten 20 Jahre“.