Ein Eisbär kommt selten alleine

■ Und die Knackwurst-Bring-Anlage funktioniert auch: Das Junge Theater begeistert große und kleine Sams-Fans mit einer eigenen Inszenierung

„Grünkohl.“ Ganz zaghaft kommt es, kleinlaut. „Grünkohl.“ Die Kinder im Publikum helfen: “Lauter!“ Herr Taschenbier versucht es noch einmal: „Grünkohl.“ Es gilt, die zänkische und neugierige Vermieterin Frau Rotkohl zu provozieren. Sie dazu zu bewegen, die Klinke zu Taschenbiers karger Kammer zu drücken und so die Knackwurst-Bring-Anlage (KBA) in Bewegung zu setzen. Endlich überwindet sich Taschenbier: “Grüünkohl“, brüllt er, „GRÜÜÜNKOOHL!“.

Eingeweihte wissen, was jetzt passiert und halten den Atem an. Der Schuh schwingt tarzanartig durchs Zimmer, trifft auf einen Stuhl, der kippelig mit einem Bein auf einer Bierflasche steht. Der Stuhl wankt. Er droht zurückzukippen. Aber nein! Jetzt kippt er doch. Die Lehne trifft auf einen umgedrehten Besen, auf dem – ebenso wackelig – eine Aktentasche an einer Leine ruht. Besen kippt, Tasche sackt nach unten und hievt mit der Leine über zwei Rollen aus dem offenen Fenster den Korb mit den Knackwürsten ins Zimmer.

Tosender Beifall – die KBA funktioniert. Taschenbier (hyperschüchtern: Ralf Knapp) kann, wie er sich das für diesen Tag vorgenommen hat, im Bett bleiben und trotzdem seine geliebte Speise zu sich nehmen. Das Sams, verheimlichter Mitbewohner, muss nicht an der Tür der launischen Hausbesitzerin Frau Rotkohl (schön: aufdringlich vermieterisch Mimmi Nilsdotter) vorbeigehen. Taschenbier froh, Sams froh, Rotkohl gefoppt, Publikum froh.

Das Sams ist Kult. Und zwar wirklich für Große und Kleine. Vier Bücher hat Autor Paul Maar über das grüne Wesen mit Dickbauch und roten Haaren inzwischen vorgelegt. Soeben ist der Film angelaufen. Umso mutiger vom Jungen Theater, gegen das Kino-Sams ein eigenes Stück zu wagen, liebevoll und buchnah inszeniert von Anne Thiessen. Das Sams (mit vielseitiger Mimik und Gestik gespielt von Andrea Liebezeit) ist Klamauk und Anarchie.

Es ist Rebellion gegen die Vereinbarungen – auch die sprachlichen – der Erwachsenenwelt. Wenn der Kunde König ist, lässt sich das Sams im Geschäft mit „Majestääät“ anreden. Es hasst die Flucht in die Verallgemeinerungen: „Man kann das nicht? Du kannst das nicht!“, macht es Taschenbier zur Sau. Doch das Sams löst die Ordnung nicht einfach auf, und es agiert auch nicht pauschal gegen die Erwachsenen. Das Sams hilft. Zum Beispiel seinem „Papa“ Taschenbier, nach dessen Liebe es sich zugleich sehnt.

Mit seinen kecken Sprüchen gegen Vermieterin, Chef und Lehrer wird das Sams zum aufbegehrenden Alter Ego eines allzu angepassten Jungesellen, der im Lauf des Stückes und der vier Bücher enorm an Selbstbewusstsein gewinnt. Den Kurzen wie den Langen lehrt das verfressene Wesen: Ein bisschen mehr samsische Unerschrockenheit schadet nicht. So ist das Sams nicht nur Pippi Langstrumpf und Tom Sawyer, sondern auch Robin Hood und Till Eulenspiegel. Für die Schwachen und gegen die vermeintlich Großen.

Das Sams ist aber auch ein Präzisionsfanatiker - und zwar beim Wünschen. Einfach nur Eisbären gibt's da nicht: Als der ungläubige Taschenbier sich einen solchen Polarpuschel wünscht, um das Sams zu testen, bekommt er den Kontext gleich mit: Es wird bitterkalt auf der Bühne, bevor sich ein Eisbär durch die Papierwand kämpft und Jagd auf die Wunschurheber macht. Klamotte pur.

Die kompetenten Urteile des kleinen Publikums sind eindeutig. Nele, zehn, und Nikjas, sieben, haben gelacht, nachgedacht und sind sich einig: „Das war toll.“ Hendrikje hingegen hatte die erste Halbzeit mit ernster Miene beäugt. Vielleicht ist man mit drei Jahren zu sehr irritiert vom Auf-den-Kopf-Stellen der Ordnung, wenn man die Ordnung selbst noch nicht richtig verstanden hat und täglich sein eigenes Sams ist. Schließlich richtet sich das Stück an Kinder ab fünf. Aber wenn die große Schwester dahin darf? Doch am Ende gab es auch für Hendrikje keine Vorbehalte mehr: „Das war witzig.“ Und für diesen einen Nachmittag ist der große Kulturkampf zwischen Buch, Film und Bühne vorerst entschieden: Süntje, fünf: „Das Theater war doch besser als der Film.“

Thomas Gebel

Die nächsten Aufführungen: 2. Dezember, 18 Uhr, 16. Dezember, 16 Uhr.. Vorführungen für Kindergruppen und Schulklassen auf Anfrage.