Abschied vom Sielwall

■ Noch ein Geschäft im Steintor macht zu: das Traditionsgeschäft / Ein Porträt von einem ungewöhnlichen Geschäftsfrau, die in WGs lebt und Damenmoden verkauft

Es war so etwas wie ein „Tante-Emma-Laden in Textil“, sagt Almut Daasch über ihren Laden: Moden Rehme, gleich am Sielwalleck, Eingang Steintor. Vor Weihnachten noch macht sie zu. Endgültig. Nach drei Generationen, insgesamt 40 Jahren, Damenoberbekleidung.

Kein Einzelfall. Mit dem Ausverkauf von Moden Rehme gibt es den nächsten Leerstand im Steintor. Wo die nächste Generationnicht mehr weitermacht, und das Sortiment nicht länger gefragt ist. Wie bei den Damenmoden.

Die meisten denken da eher an konservative Geschäfte, sagt Almut Daasch. Aber damit habe das hier nichts zu tun. Sie selbst mag es unkonventionell. Lebt mit Studenten in WGs, seit ihr Mann vor 13 Jahren starb. Und wünscht sich mehr Toleranz – vor allem für die Junkies direkt vor ihrem Laden am Sielwall.

Denn wegen denen macht sie nicht zu. Im Gegenteil. Die „gehören schließlich genauso zum Viertel so wie wir ins Viertel gehören“, sagt sie und schiebt die Blusen auf der Stange zurecht. Einer von den Junkies hat ihr zu Weihnachten sogar mal einen Strauß Blumen geschenkt. „Bestimmt nicht geklaut“, hatte er ihr versprochen. Nein. Mit denen kam sie auf eine ganz patente Art und Weise klar – und ohne Polizei.

In der Szene wird sie immer noch Frau Rehme genannt, so wie das Geschäft. „Die Frau sei schon in Ordnung“, mit dem Herz am rechten Fleck, sagt einer. Und: „Schade, dass sie geht.“ Zwar hatte sie klare Grenzen: „Mit vier Leute durften wir hier stehen, vielleicht auch mit fünf, aber mehr nicht. Und hinflätzen war auch nicht.“ Aber an ihre Gesetze hielt man sich. Und dann war gut.

Trotzdem macht sie jetzt dicht. Schließlich hatten auch die Söhne Daasch keine Lust auf Damenoberbekleidung. „Die haben eben ihren eigenen Beruf“, sagt die Mutter, kein bisschen Traurigkeit in der Stimme. Tradition sei zwar schön und gut, aber sie geht auch mal zu Ende. Und dann flatterte jetzt ein gutes Angebot ins Haus, für den Laden und die Wohnungen obendrüber. Frau Daasch verkaufte. Bei den Mietpreisen würde sich das Geschäft nicht mehr lohnen, erklärt sie. Und so stirbt mit dem alten Laden, alten Moden und alten Tapeten eine kleine Ikone des Viertels. Wo sogar einmal eine Hundertjährige noch ihre Kleider kaufte – „das waren schon tolle Momente“, erinnert sich Daasch.

Jetzt geht Almut Daasch mit „einem lachenden und einem weinenden Auge“ in den Ruhestand. 48 ist sie jetzt. Und freut sich auf ein „Stückchen mehr Freiheit – das war mir ganz wichtig.“ Umziehen, Städte angucken, verreisen will sie jetzt.

Sie schiebt eine rot gefärbte Haarsträhne zur Seite. Vermissen, sagt sie, wird sie das ganze natürlich auch. Den Schnack beim Blusenverkauf, an der Kasse, den Becher Kaffee mit den Kunden. „Denn das hier war immer ein bisschen mehr, so was wie eine Anlaufstelle für die Seele“.

Drüben am Sielwall soll ein Geschäft für spanische und italienische Spezialitäten mit Stehcafé rein. Was aus Rehmes Laden wird ist aber noch nicht klar. „Ehrlich, das weiß ich nicht, ich könnte mir aber denken, dass es ein Restaurant wird“. Schließlich soll mehr Gastronomie ins Steintor, wurde die Konzessionssperre aufgehoben, um neues Publikum zum Einkaufen zu gewinnen.

Auch oben aus der Wohngemeinschaft zieht Daasch jetzt aus. Mit zwei Studentinnen hat sie da zusammengelebt, gemeinsame Kochabende geliebt, Putzpläne verachtet. „Schiet. Wieder ist das Badezimmer dran, hab ich manchmal gedacht.“ Der alltägliche WG-Kram. „Aber irgendwie haben wir das immer geregelt.“

Jetzt will sie erst mal allein leben. Manche Kundinnen kriegen ihre neue Adresse gleich mit auf den Weg. Und eine Wohnungsparty für ihre alten MitbewohnerInnen soll es geben. Mit allen, die im Viertel geblieben sind und bleiben wollen – wie die meisten von ihnen. Und wie sie selbst.

Dorothee Krumpipe