Das Ende der Einheit von Kunst und Leben

Nach der Pleite des Viktoria-Areals am Kreuzberg wollen mehrere Investoren weiterbauen – und möglicherweise vom Gesamtplan abweichen. Ob sie dabei die Berlinische Galerie auf der Rechung haben? Die wird teurer als vorgesehen

Auf seine Sammlung russischer Konstruktivisten wie die von Naum Gabo oder El Lissitzky ist Jörn Merkert, Museumsdirektor der Berlinischen Galerie, besonders stolz. Deren künstlerische Arbeiten gehören zu den außergewöhnlichen Nachlässen, die das Landesmuseum für moderne Kunst, Fotografie und Architektur besitzt. Einen großen Stellenwert nehmen die Konstruktivisten für Merkert auch darum ein, stehen sie doch synonym für die Einheit von Kunst, Technik und Leben – ein Motiv, dem das Museum sich selbst verpflichtet fühlt. Auf dem Gelände der früheren Schultheiss-Brauerei am Kreuzberg, dem so genannten Viktoria-Areal, sollte das sinnbildlich realisiert werden: der technisch anspruchsvolle Museumbau in den einstigen Bierkühlkellern neben neuen Gebäuden und denkmalgeschützten Altbauten für Wohnungen, Ateliers und Büros.

Seit der Pleite der Investoren (Deutsche Grundbesitz und Viterra) im September 2001 wegen „der unabsehbaren Mehrkosten“ des 300-Millionen-Mark-Projekts sowie dem Beginn des Insolvenzverfahrens ist auf dem Gelände außer von Konstruktion und der Einheit von Kunst und Leben auch von Dekonstruktion die Rede. Nach Auskunft eines Mitarbeiters des Konkursverwalters Peter Leonhardt erwägen jetzt „diverse“ Investoren den Weiterbau auf dem ehemaligen Brauereigelände. Ob es aber gelingt, das komplette Areal wie geplant zu vermarkten und an einen „Gesamtinvestor“ zu verkaufen, ist ungewiss.

Man versuche zwar, das Viktoria-Areal als „Paket“ zu veräußern, so der Rechtsanwalt. Priorität jedoch habe die Sanierung und die Verwertung der Insolvenzmasse aus neuen Gebäuden, dem bestehenden Denkmal und den Grundstücken, so dass auch „die Änderung des Gesamtprojekts“ möglich wäre und dieses von einzelnen Investoren in unterschiedlichen Bauabschnitten fortgeführt werden könnte. Von einem Dutzend Bauherren ist zurzeit die Rede, darunter auch die Firma Wert-Konzept, die zum Immobilienkonzern IVG gehört.

Keine Garantie will Insolvenzverwalter Leonhardt auch für den Bau der Berlinischen Galerie geben, die nach dem Auszug aus dem Martin-Gropius-Bau seit fast drei Jahren auf ihr neues Domizil wartet. So beinhalte ein Kauf der Konkursmasse keine Verpflichtung, wieder ein Museum zu realisieren. Zugleich haben Schätzungen ergeben, dass die ursprünglich geplanten Baukosten von 23,5 Millionen Mark wegen der schwierigen Trockenlegung der Eiskeller auf möglicherweise 40 Millionen Mark steigen könnten und für jeden neuen Bauherrn ein Zuschussgeschäft bedeuteten.

Auch das Land Berlin, das schon 23 Millionen Mark vorgestreckt hat, würde bei dem Verzicht der Berlinischen Galerie seine Investition und einen Museumsbau verlieren. Deshalb sind nicht nur der Senat und Museumsdirektor Merkert „sehr daran interessiert, dass es weitergeht“, sondern auch der Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg, der die erhoffte Aufwertung des maroden Standorts nicht aufgeben will. Baustadtrat Franz Schulz (Grüne) wird nicht müde zu betonen, „dass die Berlinische Galerie im machbaren Rahmen bleiben kann“ – vorausgesetzt, die bautechnischen Gutachten für die Sanierung der feuchten Eiskeller führten zu keiner bösen und damit teuren Überraschung.

Als fürchte der Baustadtrat die böse Überraschung, setzt auch er im Ernstfall auf die Methode der Dekonstruktion. „Sollten sich die zukünftigen Bauherren nur unter der Maßgabe städtebaulicher Neuorientierung zu einer Investition für das Museum entschließen, bin ich dort bereit, baulichen Modifikationen vorzunehmen“, sagt Schulz. So könnten etwa die geplanten Gebäude auf der Westseite des Viktoria-Areals aus dem Bebauungsplan gestrichen werden und „Wohnflächen zugunsten von Büros“ fallen, erläutert Schulz, dem die „Realisierungschance“ des Museums noch über alles geht.

Aber nicht um jeden Preis: Franz Schulz, der jahrelang als grüner Bürgermeister und Baustadtrat von Kreuzberg um das Projekt gekämpft hat, will es nicht dem reinen Verwertungsinteresse von Investoren überlassen. Beim städtebaulichen Konzept behalte der Bezirk „die Oberhand“. Oder anders gesagt: Ein Restposten Konstruktion, nach El Lissitzky „die Komposition der ganzen wirklichen Welt“ (1922), muss sein.

ROLF LAUTENSCHLÄGER