ethikrat entscheidet
: Falsche Vision der leidensfreien Welt

Es ist die hohe Zeit der Kommissionen. Vergangene Woche hat die Enquetekommission „Ethik und Recht in der modernen Medizin“ ihre Empfehlungen vorgelegt, jetzt ist der Ethikrat dran. Vordergründig wird dabei über den Import von menschlichen embryonalen Stammzellen gestritten. In Wirklichkeit wird im Januar, wenn der Bundestag über diese Frage debattiert, über die Zukunft zahlreicher Forschungszweige in den Bereichen Gentechnik und Gewebezucht entschieden. Übrigens nicht nur in Deutschland, sondern zeitgleich auch in den USA.

Kommentarvon WERNER BARTENS

Die Wissenschaftler ahnen, wie viel für ihre Forschung auf dem Spiel steht. Sie scheinen weltweit nach einer ähnlichen Akzeptanzstrategie vorzugehen. Unverzichtbar in dieser Inszenierung sind notorische Provokateure wie die Firma „Advanced Cell Technologies“. Sie verschmelzen schon mal menschliche Zellen mit Kuhzellen wie vor einigen Jahren oder klonen einen menschlichen Embryo. Das macht deutlich, dass Klonen und Stammzellforschung enger zusammengehören, als von interessierter Seite immer behauptet wird. Andererseits gibt der kalkulierte Tabubruch den anderen Forschern die Gelegenheit, sich zu empören und zu versichern, dass sie von derlei kruden Vorhaben nichts wissen wollen und ihre Forschung mit embryonalen Stammzellen allein der Therapie dienen soll.

Diese Köder der Utopie, die vage Aussicht auf Heilung und die Vision einer leidensfreien Welt wirken noch nach, wenn dann auch von seriöseren Forschergruppen neue Verstöße und Grenzübertritte bekannt werden: Wir haben schon Stammzellen im Ausland bestellt, in deutschen Gefrierschränken lagern sie bereits und lasst uns doch – bitte, bitte – wenigstens mit den embryonalen Stammzellen forschen, die nun einmal bereits vorhanden sind.

Die Politik könnte die Grenzüberschreitungen in diesem ungleichen Wettlauf endlich zum Anlass nehmen, den Trend umzukehren: nicht verspätet zu reagieren, sondern zu agieren. Nicht nachträglich den Schaden einzugrenzen, sondern vorbeugend klare Entscheidungen zu treffen. Denn nur so hat sie überhaupt eine Chance, zu verhindern, dass vorab schon gewiss ist, wie das Rennen ausgeht. Also: Import von und Forschung an embryonalen Stammzellen untersagen, Forschung an adulten Stammzellen stärken. Die Ethikkommission hat das mehrheitlich erkannt, der Ethikrat leider nicht.

Der Autor ist Arzt und Redakteur derBadischen Zeitung