Die Manns I

Die in Brasilien geborene Julia da Silva Bruhns (1851–1923) hatte fünf Kinder mit Heinrich Mann (1840–1891), Kaufmann, Konsul und Senator in Lübeck. In seinem Testament verfügte er, seine Witwe solle die Kinder in Abhängigkeit halten, und wenn sie je wanken würde, die Tragödie König Lears als Beispiel nehmen.

Heinrich Mann (1871–1950), der älteste Sohn aus dieser Ehe, wurde gegen den ausdrücklichen Willen der Familie Schriftsteller. Sein Vater verzieh ihm nie, dass er nicht das Mann’sche Handelshaus übernahm. Er warf dem Sohn „träumerisches Sichgehenlassen und „Rücksichtslosigkeit gegen andere“ vor. Zur Mutter hatte Heinrich schon als Kind ein ambivalentes Verhältnis, was auch an ihren Flirts mit Offizieren und Musikern gelegen haben mag.

Liebe fand Heinrich als Kind bei den Dienstmädchen, als Heranwachsender bei seiner Cousine und später im Bordell. Die unveröffentlichte Novelle „Haltlos“, die er als Neunzehnjähriger schreibt, spricht von der Faszination wie dem Abscheu, die er für käufliche Liebe empfindet. Auch seine Ehefrauen kamen aus gesellschaftlich als inakzeptabel geltenden Kreisen. Seine erste Ehe mit der Schauspielerin Mimi Kanová wurde 1930 geschieden. Seine zweite Frau, Nelly Kröger, einst Barmädchen und daher in großbürgerlichen Kreisen von geringstem Stand, nahm sich 1944 in Los Angeles das Leben.

Der vier Jahre jüngere Bruder Thomas (1875–1955) wurde Heinrich zum unüberwindlichen Rivalen. „Ein ruhiges Gemüt“ schrieb der Vater dem Zweitgeborenen zu, er „werde sich in einen praktischen Beruf hineinfinden“. So weit kam es nicht. Immerhin übte Thomas im Gegensatz zu Heinrich seine Schriftstellerei mit kaufmannshafter Pedanterie aus.

Die Schauspielerin Carla Mann (1881–1910), jüngste Schwester von Thomas und Heinrich Mann, litt unter dem Scheitern ihrer eigenen Karriere und mehreren unglücklichen Affären. Heinrich verwendet für seine Novelle „Die Schauspielerin“ Briefe, in denen Carla ihr Verhältnis mit einem reichen Verehrer schildert. Heinrich stellt sich in der Figur des Vetters dar, sodass seine Liebe zur schönen Künstlerin nicht unter das Inzesttabu fällt. Als ihre schlecht beleumdete Vergangenheit eine Verlobung und damit eine Rückkehr in bürgerliche Kreise verhindert, vergiftet sie sich mit 28.

Ihre Schwester Lula Mann (1877–1927), die das Vorbild für die Cornelia in Thomas Manns späterem Roman „Lotte in Weimar“ gewesen sein soll, litt unter so genanntem „Gattenekel“. Doch der Tod des ungeliebten Mannes bedeutete gleichzeitig ihr Ausscheiden aus der bürgerlichen Gesellschaft und den sozialen Abstieg. Sie erhängte sich.

JUDITH LUIG