Brav im Körbchen

Roland Schimmelpfennigs „Push up 1-3“ und „Vor langer Zeit im Mai“ wollen am Schauspielhaus nicht zueinander finden  ■ Von Karin Liebe

Es soll Leute geben, die gucken sich drei Filme hintereinander im Kino oder im Fernsehen an. Einen alten Western zum Aufwärmen, eine Highschoolhorror-komödie zum Ablachen, zum Schluss einen Actionfilm zum Aufmöbeln, bevor es auf die Piste geht. Andere lesen die letzte Seite eines Romans, seufzen kurz und schlagen dann das nächste Buch auf. Für geistig agile Theaterliebhaber war es bislang schwierig, mehrere Stücke am Stück zu sehen. Das Schauspielhaus hat jetzt Abhilfe geschaffen: Push up 1-3 und Vor langer Zeit im Mai, beide geschrieben von Hausautor Roland Schimmelpfennig, gibt es ohne Pause im Doppelpack. Mit dem Ergebnis, dass unflexible Menschen krampfhaft nach einem Zusammenhang suchen. Und ihn nicht finden.

Dabei hat alles so vielversprechend angefangen. Push up 1-3, erst vor kurzem an der Berliner Schaubühne uraufgeführt, ist eine richtig schön gemeine Abrechnung mit der Karrieregeilheit. Regisseur Jürgen Gosch vertraut auf die Kraft des Textes und lässt die Schauspieler powervoll agieren.

Die Bühne: fast nackt. Ein hohes rechteckiges Gestell, das allein aus fragilen Streben besteht, Symbol für das fehlende Innenleben eines Bürohochhauses, das sich, um 90 Grad gedreht, in wandlose Büros verwandelt. Darin steht Pförtner Heinrich (Matthias Fuchs) und hält, nein brüllt einen Monolog über seinen Arbeitsplatz ganz unten in der Lobby. Er scheint zufrieden mit seinem Posten, doch alle anderen streben nach oben, in die Chefetage im 16. Stock. Sabine (Wiebke Puls) ist scharf auf den tollen Job in Delhi, doch ihre Vorgesetzte Angelika (Catrin Striebeck) verweigert ihr aus Eifersucht den Aufstieg. Patrizia (Christiane von Poelnitz) will den neuen Werbespot von Robert (Alexander Simon) absegnen lassen, doch der erklärt ihn für „Null“. Und Hans (Hermann Beyer) und Frank (Samuel Weiss) rangeln ebenfalls um den Spitzenjob in Delhi.

Was zählt, ist der Weg nach oben, wer dabei stört, wird weggeräumt. Wenn schließlich klar ist, wer nach Indien darf, ist das Stück zu Ende. Gerade denkt man noch: Ja, das war doch klasse gespielt und mal richtig ..., da geht der Theaterabend schon weiter: Einer dreht wilde Runden mit dem Fahrrad auf der nun völlig nackten Bühne, eine Frau im Rokokokostüm läuft von einer Tür zur anderen, eine Frau fegt ganz langsam den Bretterboden. Dazwischen Stimmen aus dem Off: „Hast du eigentlich dein Fahrrad noch?“ Später fährt ein anderer Fahrrad, steckt eine andere im Rokokokostüm. Noch später fahren zwei, dann drei mit dem Fahrrad herum, öffnen zwei, dann drei Frauen im Rokokokostüm die Tür, fegen zwei Frauen den Bretterboden. Und so weiter.

Wie Katz und Hund sind die beiden Stücke. Wenn sie wenigstens aufeinander losgelassen worden wären! Aber nein, beide bleiben fein in ihren Körbchen sitzen. Der starke Eindruck des ersten Stücks verwässert später beim Versuch, Zusammenhänge zu finden. Sechs der acht Schauspieler treten wieder auf, das ist aber auch die einzige ausgespielte Gemeinsamkeit. Theoretisch gibt es allerdings Schnittmengen: Selbst oder gerade in der Karrierewelt von Push up mit Prinzipien wie Durchsetzungskraft, Zielorientiertheit, Effizienz, agiert das Personal emotional, spuckt sich den Hass und die Wut und die Verzweiflung gegenseitig ins Gesicht. Die Emotionalität in Vor langer Zeit im Mai ist aber völlig entpersönlicht. Sie verflacht zu einer melancholischen Grundstimmung. Für sich allein betrachtet hat auch dieses Stück sicher seinen Reiz. So aber vergleicht man, was nicht vergleichbar ist, und fühlt sich wie nach einem durchgezappten Fernsehabend zwischen Wall Street und Wim Wenders: vollgestopft und unzufrieden.

nächste Vorstellung: Sonnabend, 20 Uhr, Schauspielhaus