Die Indianer der Wüste

Die Tuareg wurden zum Symbol für Freiheit und archaische Überlebenskunst. Der Österreicher Harald Friedl hat die Auswirkungen des Tourismus auf die romantisierten „blauen Ritter“ in Niger untersucht

von NORBERT SUCHANEK

taz: Herr Friedl, Sie haben sechs Monate über Tourismus in der Sahara-Republik Niger geforscht. Mit welchem Ziel?

Harald Friedl: Aufgrund meiner langjährigen Erfahrung als Reiseleiter wie auch als „Sahara-Experte“ stellte sich mir die fundamentale Frage, inwieweit Reisen zu den Tuareg überhaupt vertretbar sind.

Ist Tourismus eine Chance?

Prinzipiell ist immer der Förderung traditioneller Wirtschaftsmethoden wie Gartenbau, Karawanenhandel und Ziegenzucht der Vorzug zu geben. Die Menschen sind damit vertraut. Zumeist fehlen ihnen nur – infolge der Dürren und der Rebellion – die Produktionsmittel und neue Kenntnisse zum besseren Umgang mit dem Klimawandel. Tourismus hingegen bedarf umfangreicher Massnahmen, damit er nachhaltig wirkt. Weil aber Tourismus nicht abzustellen ist und die Menschen sich Gewinn daraus erwarten, stellt sich die Frage: Wie kann man Tourismus am besten kanalisieren?

Also gibt es bereits einen Tuareg-Tourismus?

Der Tourismus ist für die Tuareg keineswegs neu. Bis vor dem algerischen Bürgerkrieg waren die Gebiete der Hoggar- und Tassili-Berge in Algerien beliebte Reiseziele, und die nigerische Region Agadez hatte bis 1990 eine aufblühende Tourismusökonomie – nicht zuletzt durch den „Schrott- Tourismus“.

Schrott-Tourismus?

Zahlreiche europäische Hobby-Abenteurer chauffierten ausgediente Peugeots über Spanien und Algerien nach Westafrika, um mit dem Verkauf ihren Urlaub zu finanzieren. Bis 1991 landeten an manchen Tagen bis zu zwanzig Wagen in Agadez. Den organisierten Gruppentourismus brachte der in Europa sehr bekannte Tuareg und Autor Mano Dayak in den Niger. Durch sein Engagement wurde Agadez zu einem festen Bestandteil der Rallye Paris-Dakkar. Nach dem Zusammenbruch des Tourismus durch die Rebellion kamen 98/99 wieder über 800 Pauschaltouristen – zumeist aus Frankreich, Italien, Deutschland, der Schweiz und Österreich. Heuer waren es bereits über 2000!

Welche sozialen und ökologischen Auswirkungen hat der Tourismus?

Es gibt ein „wildes“ Wachstum des Tourismus. Agenturen – es gibt mittlerweile an die 35 in Agadez – schießen wie Schwammerln aus dem Boden, doch deren Kompetenz beruht zumeist nur auf Orientierung, Freundlichkeit, guter Küche und der Liebe zum Gaspedal. Die Reiseführer sind bar jeder Kompetenz, was ihre Verantwortung für die fragile Ökologie und den sensiblen Bereich der interkulturellen Vermittlung anbelangt.

Was heißt das konkret?

Müll wird achtlos liegen gelassen, lebendes Holz wird für Lagerfeuer geschlagen, gedankenlose Reisende waschen sich mit Shampoos in Wasserlöchern, oder sie rennen in Hotpants durch die Dörfer. Die Führer schweigen dazu, weil sie die Folgen noch nicht begreifen – entgegen den gesetzlichen Vorschriften. Aber was gelten Gesetze in Ländern, die kein Geld für ihre Beamten haben? Freilich ist unter den Agenturen neben der Indifferenz auch die Angst verbreitet, man könnte die Touristen vergrämen.

Wie reagiert die Landbevölkerung auf den Tourismus?

Die Fremden sind ihnen höchst willkommen. Fast scheinen manche die Touristen als freie Kamele zu betrachten, die bloß gemolken werden mussen. Dabei kommt es immer wieder zu Missverständnissen und Enttäuschungen, weil diese „weißen Kamele“ ihrerseits zumeist nur an Fotomotiven anstatt an Begegnungen interessiert sind.

Wer profitiert vom Tourismus in der Region?

Die wirtschaftlichen Gewinne durch Tourismus konzentrieren sich – insbesondere beim Allrad- Tourismus – vor allem auf die Agenturen in Agadez, die zumeist auch die Hotels kontrollieren. Weil für die ländliche Region nur wenig mehr als „Staub“ abfällt, wird Agadez zum Anziehungspunkt für Arbeitssuchende werden, verbunden mit wachsender Kriminalität in der Stadt, Überfällen am Land. Wo Armut herrscht, führt großes Geld immer zu sozialem Unfrieden.

Welchen Tourismus würden Sie vorschlagen?

Ich befürworte einen integrierten Ökotourismus (Kamel-, Trekking-Tourismus), bei dem Arbeitsplätze in den besuchten Regionen geschaffen werden, und zum anderen die Schaffung eines Tourismus-Fonds, mit dem Infrastruktur (Apotheken, Brunnen, Pisten, Schulen) am Land finanziert werden. Dazu müssen die Agenturen erst mal genug verdient haben, denn vorerst sind Investitionen in die Agenturen selbst (Fuhrpark, Ausbildung, Ausrüstung . . .) nötig.

Kurzbericht über die Feldforschung im Niger: Harald A. Friedl, Am Dominikanergrund 14, A-8043 Graz, E-Mail: harald.friedl@kfunigraz.ac.atLiteraturtipps:Mano Dayak: „Geboren mit Sand in den Augen. Die Autobiographie des Führers der Tuareg-Rebellen“. Unionsverlag 1998, 219 Seiten, 16,90 MarkAlberto Vazques-Figueroa: „Tuareg“. Goldmann 1989, 317 Seiten, 16 MarkWerner Gartung: „Die Salzkarawane. 1000 Wüstenkilometer mit der Tuareg Salzkarawane“. Reise Know How 2000, 350 Seiten, 29,50 Mark