Entgleisung mit Finesse

Bayer Leverkusen macht es den Münchner Bayern nach und verliert ebenfalls bei Werder Bremen, das mit dem 2 : 1 gegen einen weiteren Tabellenführer zum neuen Überfliegerteam der Saison wird

aus Bremen JOCHEN GRABLER

„Das Leben“, so lehrt uns der Philosoph Leibniz, „das Leben ist eine Kette mehr oder weniger organisierter Entgleisungen.“ Dabei kannte Leibniz, als er dies schrieb, Klaus Toppmöller und seine Leverkusener Fußballspieler noch gar nicht. Also: Gerade mal eine Woche ist es her, dass die Überfliegermannschaft der Saison den siebten Sieg in Folge eingefahren und die Tabellenführung glänzend verteidigt hat. Womit man aber schon bei den Entgleisungen angekommen ist: Erst das 0 : 4 in der Champions League bei Juventus Turin, nun mit 1 : 2 gepatzt bei Werder Bremen, zudem die Rote Karte für Käpten Jens Nowotny nach Notbremsen-Foul.

Wobei die Werkself am Samstag ein durchaus zufriedenstellendes Spiel abgeliefert hat und gerade mal 48 Stunden nach dem Turiner Debakel erstaunlich frisch und kampfeswillig war. Pech nur, dass die Leverkusener am Samstag ausgerechnet auf die zweite Sensationself der Saison getroffen sind. Werder hatte nach sieben Siegen in acht Spielen eine ähnliche Serie hingelegt, zuletzt die Bayern geschlagen und auf Schalke triumphiert – und hatte, wie die Gäste, reichlich gutzumachen: beim Drittligisten Uerdingen aus dem Pokal geflogen! Peinlich, peinlich!

Im Weserstadion traf dann eine gute Mannschaft auf eine gute Mannschaft, und eine halbe Stunde lang setzten sie sich gegenseitig schachmatt. Fürs taktisch geschulte Auge war’s ein Genuss: Zwei vorzüglich organisierte Teams probierten immer wieder neue Spieleröffnungen und taktische Rückzüge, versuchten Finten und Finessen und blockierten sich doch gegenseitig. Kaum hatte Ballack den Ball, sah er sich einem Rudel Grün-Weißer gegenüber, wollte Frings einen seiner zauberhaften Spielzüge einleiten, wurde er sofort von den Roten umringt. Techniker Ze Roberto mühte sich mit Techniker Tjikuzu ab, Schneider und Skripnik schenkten sich nichts. So entwickelte sich ein Geduldsspiel: Die einen belauerten die anderen, um den ersten Fehler sofort zu bestrafen. Das war richtig spannend, aber richtig aufregend eher nicht.

Für emotionale Wallungen sorgte dann einer, der eigentlich gar nicht mitkickte. Schiedsrichter Jörg Kessler pfiff mal kleinlich, mal unsicher, nach gut einer halben Stunde aber meist überfordert: Nowotny mähte den Ukrainer Skripnik von den Beinen, sah Gelb, die Leverkusener waren empört; Verlaat rangelte mit Ballack, dafür gab’s noch zwei gelbe Karten. Soweit wäre alles normal gewesen, wenn nicht die Leverkusener fortan die Unsicherheit des Referees in beinahe jeder Situation für lautstarkes Palaver genutzt hätten. Als kurz darauf Keßler den bekannt hypermotivierten Kirsten ermahnend zu sich rief, blieb der einfach stehen und bedeutete gestenreich, dass der Schiri doch gefälligst zu ihm kommen solle.

Das Stadion kochte – und beide Mannschaften waren trotz einiger hakeliger Fouls stark genug, die Emotionen in Spielerisches umzusetzen. In der 38. Minute setzte sich Ballack mit einem feinen Solo durch, Skripnik verpennte einen Querpass, und Schneider donnerte den Ball zum 1 : 0 für die Leverkusener ein. Dabei hatte Werder-Coach Schaaf seinen ukrainischen Star im Spätfrühling vor dem Match noch einmal besonders motiviert. „Ich habe ihm gesagt“, erzählte Schaaf, „er soll an die WM-Qualifikation denken. Was er danach hat einstecken müssen – “, eben weil ihm auch dort dieser Schneider zugesetzt hatte. Nun könne er zeigen, was in ihm steckt. Skripnik zeigte – und schon stand es 0 : 1.

Doch nichts gegen Schaaf, denn Skripnik setzte nach und zeigte noch mal – schon stand es 1 : 1. Keine Minute nach seinem Tor verdaddelte Schneider am eigenen Strafraum den Ball ausgerechnet gegen den Ukrainer, und Bode semmelte den Ball zu seinem Treffer Nummer 98 für Werder unter die Latte. In der ewigen Werder-Torschützenliste hat er damit Völler und Neubarth hinter sich gelassen.

Fortan stürmten beide Teams nach Kräften. Frings und Ballack zogen die Fäden, Lisztes schlug Zuckerpässe, Ze Roberto dribbelte, und die Bremer sahen ein hochklassiges und aufregendes Match, das am Ende einen verdienten Sieger fand, weil Verlaat in Minute 58 völlig unbedrängt einen Lisztes-Freistoß ins Leverkusener Tor wuchtete. Und wäre nicht Nowotny derart dusselig über die Hacken des davon stürmenden Ailton gelaufen, dass der fiel, und die rote Karte für den bereits verwarnten Nowotny zwingend war, es wäre ein richtig makelloser Fußballnachmittag gewesen.

Werder Bremen: Rost - Baumann, Verlaat (80. Stalteri), Krstajic - Tjikuzu, Frings, Ernst, Skripnik - Lisztes - Ailton, BodeBayer Leverkusen: Butt - Schneider, Lucio, Nowotny, Placente (78. Sebescen) - Ballack, Ramelow, Bastürk (46. Zivkovic), Ze Roberto - Kirsten (78. Berbatow), NeuvilleZuschauer: 30.000; Tore: 0:1 Schneider (38.), 1:1 Bode (39.), 2:1 Verlaat (58.); rote Karte: Nowotny (70./Notbremse)