Eine Urne zu viel in Bikernieki

■ Gedenken, wo gar keine Bremer Toten liegen: Das neue Mahnmal in Riga für deportierte Juden eröffnet zum 60. Jahrestag der Deportation mit einem historischen Fauxpas

30. November 1941. Es ist kalt. Minus 24 Grad als der erste Zug aus Berlin im Rigaer Güterbahnhof ankommt. Mit diesem Zug beginnt die Deportation deutscher Juden nach Osteuropa, beginnt die Massenvernichtung. 27 Züge sollen noch folgen, insgesamt 25.000 Menschen hier ihr Leben verlieren.

Genau 60 Jahre ist der Rigaer „Blutsonntag“ jetzt her. Wieder ist es kalt am 30. November – ein paar Grad unter null – als zum ersten Mal nach 60 Jahren offiziell der Ermordeten in Riga gedacht wird. Im Auftrag der deutschen Bundesregierung und mit finanzieller Beteiligung der Kommunen, aus denen die Transporte vor 60 Jahren starteten, wurde hier im Wald Bikernieki eine Gedenkstätte eingeweiht – aus Bremer Sicht allerdings mit einigen historischen Ungereimtheiten.

Zwar ist auch Bremen zusammen mit 18 weiteren Kommunen inzwischen im „Deutschen Riga Kommittee“ vertreten. 15.000 Mark hat der Stadtstaat für die neue Gedenkstätte überwiesen. Allerdings wurden die Bremer Juden nicht nach Riga deportiert, sondern nach Minsk. Der Städtepartnerschaft mit Riga wegen „fühlten wir uns aber verpflichtet mitzumachen“, hatte Bürgermeister Hartmut Perschau Anfang November erklärt.

Umso „überraschter“ waren dann die Bremer Delegierten, Bürgerschaftspräsident Christian Weber (SPD) und Rolf Reimers vom Bremer Büro des Volksbunds Deutsche Kriegsgräberfürsorge (VDK), dass vor Ort auf einmal ein Feld an die Deportierten aus Bremen erinnert. Und dass sie beim Festakt eine Art Urne für die Bremer Juden im Totenschrein ablegen sollten. Die Schatullen der anderen 18 Städte enthalten jeweils die Namen „ihrer“ in Bikernieki ermordeten Juden, um ihnen so ihren Namen, ihre Identität zurückzugeben – so die Idee. Nur: Aus Bremen gibt es keine Toten in Bikernieki und entsprechend keine Listen. In der Bremer Urne liegt deshalb nur ein Stein.

Beim Festakt haben sich die Bremer ans Protokoll gehalten. „Zu sagen, wir machen das nicht, hätte nur noch mehr Fragen aufgeworfen“, erklärt Rolf Reimers. Jetzt aber will der VDK-Mann mit seiner Hauptgeschäftsstelle in Kassel noch mal Tacheles reden, wie es zu dem Missverständnis kommen konnte. „Vielleicht war es ein Fehler, das vorab nicht genauer abzusprechen.“

Bürgerschaftspräsident Weber vermutet, dass sich die Organisation wohl an die simple Gleichung „19 Städte, also auch 19 Felder und 19 Urnen“ gehalten hat. Der Unterschied, dass eine dieser Städte dem Riga Kommittee nur als Partnerstadt beigetreten ist, aber nicht weil von dort Deportationszüge nach Riga führten, ging bei den Vorbereitungen aber offenbar unter. „Obwohl das gut gemeint war.“

Beim VDK heißt es dazu, dass sie diese Anlage ohnehin „symbolisch“ verstehen. „Unser Ansatz war, dass das weniger ein historischer als ein symbolischer Akt der Verbundenheit war“, erklärt dort der Pressesprecher Fritz Kirchmeier. Denn schließlich sei Bremen ja Partnerstadt von Riga. Die Frage, „ob es denn Juden aus Bremen gegeben hätte“ sei im Vorfeld nur am Rande diskutiert worden.

Ein „ungutes Gefühl“ schleicht sich dabei aber vor allem bei einigen BremerInnen ein. Gerade mit solchen Namenslisten versuche man ja, die Erinnerung an ganz konkrete Menschen wach zu halten, meint der Historiker Lothar Machtan. „Dann kann man da nicht auf einmal allgemein-historisch werden und Orte eingemeinden, die real-historisch keinen Bezug zu Riga haben.“

Nicht richtig schädlich, findet zwar Elvira Noa von der jüdischen Gemeinde in Bremen den Fauxpas. Trotzdem müsste der historische Fehler unbedingt richtig gestellt werden. Denn prinzipiell sei das in Ordnung, „wenn Partnerstädte an die jeweils andere Stadt denken“.

Rolf Reimers jedenfalls will die Gedenkstätte in Riga so nicht stehen lassen. „Da muss ein Hinweis hin, der erklärt, dass Bremen hier als Partnerstadt der Deportation gedenkt.“ Im nächsten Jahr ist Reimers mit einem Jugendcamp des VDK wieder in Riga. Dann wird man sehen, was daraus geworden ist. Dorothee Krumpipe