: Sudeleien und Sperrfeuer
In seinem neuen Film enthistorisiert Woody Allen sein New York erneut – und liefert sich mit Helen Hunt ein Duell aus Animositäten und Beleidigungen. Allerdings verpufft dann die sehr spezielle amerikanische Vorliebe für die Vierzigerjahre „Im Bann des Jade Scorpions“ ein wenig allzu rückstandsfrei
von HANNS ZISCHLER
Während hierzulande die 80er-Jahre wieder aus den Federn kriechen – alt-neuer Plüsch aus einer frostig verschlafenen Zeit – kehrt Amerika in die 40er-Jahre zurück (ein besonders missglückter Rücksprung war „Pearl Harbor“, das sogleich als beliebiges Menetekel für den 11. September herhalten musste – und sich natürlich als untauglich erwies).
Woody Allen nun enthistorisiert sein New York erneut und immer mehr – und holt mit butterweicher Linse ein bestimmtes serielles Klischee aus den Vierzigern zurück: die Angestelltenkultur mit ihren mild-idiotischen Idiosynkrasien. Allen selbst spielt den hartgesottenen, ganz im Geiste Marlowes agierenden Versicherungsdetektiv Briggs, der ganz auf seine sagenhafte Intuition und antrainierte Spontaneität vertraut. Er ist ein mittelschwerer Kotzbrocken, der, wie dies in den 40ern offenbar gang und gäbe war, im Film hübsche junge Mädchen („Dingerchen“ wäre das deutsche Dummwort für diese Backfische gewesen) anmacht und gerne „dreckige“ (heute: sexistische) Witze reißt.
Seine Gegenspielerin und selbstbewusst auftretende neue Vorgesetzte ist Helen Hunt, im Film Betty Ann Fitzgerald, die sich mit mehr oder weniger klarer Zielvorgabe – ihr Boss ist der beeindruckende Dan Aykroyd – nach oben schläft. Ihren mit frauenfeindlichen Gestapo-Witzen auffahrenden Rivalen Briggs deckt sie mit einer nicht enden wollenden Serie von tierischen Invektiven ein („verwurmtes Frettchen“, „dreckige Termite“, „schleimiges kleines Wiesel“), die wie alle Sudeleien und Sperrfeuer ermüden, wenn sie unaufhörlich in Szene gesetzt werden. Und vielleicht ist ja einer der Gründe, warum gewisse Sex-Comedies (dt.: Gesellschaftskomödien) in die Vorzeit verlegt werden, die Lizenz für eine betont sexualpolitisch unkorrekte Eskapade – mit dem augenzwinkernden Einverständnis der Zuschauer?
Vielleicht ist hier auch einfach ein ähnlicher Reflex am Werk wie in „Verbrechen und andere Kleinigkeiten“, der zu Beginn der heftigen Anti-Raucher-Kampagne Ende der 80er-Jahre gedreht wurde und dessen Protagonisten unentwegt und hemmungslos Marlboro in- und exhalierten.
Es mag ja kein „Problem“ sein, dass der jetzt 65-jährige Allen sich gerne mit 30 Jahre jüngeren Frauen umgibt – kein Problem im Sinne der Spielaufgabe, wie es so nüchtern im Theaterdeutsch heißt – doch kann es zum Problem werden, wenn die prätentiöse Absicht dieser Kombi überdeutlich durchschlägt. Zumal sich Allen mit Charlize Theron noch eine blonde, superlaszive Femme fatale an die Seite inszeniert, deren plötzliche Leidenschaft für den schütteren Versicherungsvertreter nur bedingt mit seinem legendären detektivischen Erfolg plausibel wird.
Der Reiz bei einer derartigen Kampf-Patience von Klischees ist es, nach einem guten halben Jahrhundert den twist zu finden, der diesen immergleichen double-dutch für unsere Augen interessant macht. Zum Teil gelingt das – mehr jedoch aufgrund der sehr perfekten Ausstattung und der meisterhaft „retrospektiven“ Kamera von Zhao Fei als aufgrund des eher schwachen Drehbuchs.
Der Plot immerhin bringt einiges zum Knistern und zum Glänzen: der Jadeskorpion spielt auf einen geheimnisvollen Juwel an, mit dessen Hilfe der Nachtclubhypnotiseur Voltan seine Kunden verzaubert. Zu seinen jüngsten Opfern zählen ausgerechnet die zwei zutiefst verfeindeten Mitarbeiter der Northcoast Insurance – C. W. Briggs und Betty Ann Fitzgerald. In Trance gestehen beide zum hysterischen Vergnügen ihrer Kollegen, dass sie sich lieben, und ferngesteuert durch das über ihn verhängte Passwort „Konstantinopel“ begeht Briggs eine Reihe von Diebstählen, die er sogleich wieder aus seinem Gedächtnis streicht. Die Schwelle zur Hypnose überschreitet Woody Allen meisterhaft täppisch und anrührend. Die Lösung des mystery crimes soll nicht verraten werden.
Es bleibt aber das leise Unbehagen darüber, dass Woody Allens jüngste Filme zunehmend privat und cosy werden – eine anrührende, aber auch angestrengte Bastelei, aus der die Frechheit und die unterschwellige Giftigkeit immer mehr vertrieben werden. Die spielerische Unbeschwertheit, mit der Woody Allen einmal angefangen hat – in „What’s Up Tiger Lily?“ nahm er einfach einen japanischen Krimi zur Vorlage und unterlegte ihn mit eigenen Dialogen –, ist passé. Die sehr spezielle amerikanische Vorliebe für die Vierzigerjahre, die er in „Purple Rose of Cairo“ antizipiert hatte (der Film spielt in einem Phantasia am Ende der 30er-Jahre), wird in „Jade Scorpion“ zu mäßig witzigen Dialogen eingedampft – und verpufft ein bisschen zu rückstandsfrei.
„Im Bann des Jade Scorpions“. Regie: Woody Allen. Mit: Woody Allen, Dan Aykroyd, Elizabeth Berkley, Helen Hunt, Charlize Theron u. a. USA 2000, 111 Min.
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