Schmidt gräbt Kriegsbeil aus

Die Gesundheitsministerin will Ärzteverbände entmachten. Kassen sollen künftig mit Ärzten einzelne Behandlungsverträge abschließen. Kassenärztliche Vereinigung: Wer die Ärzte einem „Kassenkartell“ ausliefert, kauft schlechtere Versorgung ein

aus Berlin ULRIKE WINKELMANN

Plötzlich hatte die Ministerin Kampfeslust in den Augen. „Es gilt, die Monopolstellung der Kassenärztlichen Vereinigung zu brechen“, sagte Gesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) gestern auf der Pressekonferenz, die – eigentlich recht öde – der Bekanntgabe der Krankenversicherungs-Quartalszahlen diente.

Damit kündigte Schmidt an, in welche Richtung die Gesundheitsreform nach der Wahl 2002 gehen soll, über die sie heute in einer Grundsatzrede en detail Auskunft geben wird: Die Kassenärztliche Vereinigung (KV), die Institution, die für die Ärzteschaft die Behandlungsverträge mit den Kassen abschließt, soll entmachtet werden. Stattdessen will die Ministerin den Kassen die Möglichkeit geben, mit einzelnen Ärzten beziehungsweise Ärztegemeinschaften Verträge zu machen.

Das bedeutet erstens, dass die Ärzte untereinander in Konkurrenz treten müssen, wer denn die Pillen am günstigsten verschreibt. Zweitens verlieren die Kassen ihren vertrauten Ansprechpartner und werden das Angebot der Ärzte nach Preis-Leistungs-Kriterien überprüfen müssen.

Mit ihrer Erklärung schloss sich Schmidt dem Gutachten von vier Gesundheits-Weisen an, das gestern bekannt wurde. Mit dieser Expertise hatte der SPD-Vorstand – wie Schmidt gestern behauptete: „in Absprache mit mir“ – die Professoren Gerd Glaeske, Karl Lauterbach, Bert Rürup und Jürgen Wasem beauftragt. Die Ergebnisse sollten ebenfalls erst heute bekannt gegeben werden. Die Experten verlangen nicht nur mehr Wettbewerb zwischen den Ärzten, sondern auch eine Entmachtung der Apotheker. Ziel: die Verbraucher sollten demnächst die Pillen per Internet bestellen können, auch bedürfe es einer Kontrolle der Medikamentenwirkung und einer Festlegung des Versorgungsangebots durch den Bundestag.

Was die Rolle des Bundestags angehe, sagte Schmidt, stimme sie mit den Gutachtern nicht überein. Was den Selbstverwaltungsbetrieb von Ärzten, Apothekern und Krankenhäusern betreffe, schon. „Die Selbstverwaltung blockiert sich gegenseitig“, sagte sie. Im Übrigen „heißt Konsens doch nicht, dass es keine Mehrheitsentscheidungen mehr geben darf“. Im Klartext: Wenn die Ärzteverbände am runden Tisch zum Gesundheitswesen sich jetzt beschweren, werden sie eben überstimmt. Den runden Tisch hatte Schmidt selbst im Mai eingerichtet, um den Gutelaune-Schaden bei allen Interessengruppen des Gesundheitssystems zu beheben, den ihre grüne Vorgängerin Andrea Fischer angerichtet hatte.

Die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) reagierte gestern verblüfft auf Schmidts Kriegserklärung. „Ich kann mir kaum vorstellen, dass Ulla Schmidt das gesagt hat“, sagte KBV-Hauptgeschäftsführer Rainer Hess zur taz. „Aber wenn sie das will, muss sie sich der Konsequenzen bewusst sein.“

Sollte die Ministerin die 400 deutschen Krankenkassen dazu ermächtigen wollen, die Ärzte einzeln unter Preisdruck zu setzen, „haben wir 400 verschiedene Gesundheitssysteme“, erklärte Hess. „Die KV ist die letzte Klammer, die das deutsche Gesundheitssystem nach Einführung des Kassenwettbewerbs noch hat.“ Wer jetzt die Ärzte „einem Kassenkartell ausliefert, der nimmt in Kauf, dass die Qualität der ärztlichen Versorgung leidet“, so Hess.

Die Krankenkassen blieben gestern jedoch auch nicht ganz von der Kritik der Ministerin verschont. Vier Milliarden Mark, so die vorläufigen Berechnungen, die sie gestern vorstellte, werden den gesetzlichen Kassen in diesem Jahr fehlen. Ein Großteil dieses Finanzlochs, nämlich rund 2,5 Milliarden Mark, kommt durch die gestiegenen Arzneimittelausgaben zustande, die Schmidt mit ihrem Sparpaket wieder dämpfen will.

Doch noch stärker als die Pillenkosten, sagte Schmidt, seien übrigens die Verwaltungskosten der Krankenkassen gewachsen. „Das bleibt erklärungsbedürftig.“