Schnoor älter als gedacht

■ Bauarbeiten für das Kloster im Schnoor fördern ein altes Bett der Balge zutage. Deren Ufer war bereits vor 1.000 Jahren bewohnt – eine Überraschung für Experten

Mitten in der Baugrube im Schnoor, umgeben von Betonpfeilern und rostigem Armierungsstahl, streckt Dieter Bischop seine Hand in eine dunkle Pfütze. Schwarze Fasern wirbeln hoch. „Torf, wie er von Flussläufen angeschwemmt wird“, sagt der Archäologe. Wo bald Bremens jüngstes Kloster stehen wird, mäanderte einst ein Seitenarm der Weser – die Balge. Drei Meter unter heutigem Straßenniveau kann Bischop das einstige Ufer des Gewässers nachweisen. Seit einer Woche buddelt er hier eine Sensation aus. „Wenn wir unsere Funde richtig deuten, war der Schnoor schon vor tausend Jahren bewohnt.“ Bisher glaubten Bremer Historiker, dass sich Siedler erst im 13. Jahrhundert hier niederließen.

Schicht um Schicht hat der beim Landesarchäologen angestellte Grabungsleiter die Erde am einstigen „Ufer“ nachgezeichnet. Mit dem Spaten sorgfältig im Profil sichtbar gemacht, kann der Fachmann im Dreck wie andere Menschen in einer Chronik lesen. Mit einer kleinen Kelle kratzt er an der Erdkante und löst einen schwarzen Brocken heraus: eine Tonscherbe. Form und Rand sprechen dafür, dass das Bruchstück aus dem zehnten bis zwölften Jahrhundert stammt. „Von denen haben wir hier jede Menge gefunden“, sagt Bischop sachlich. Auch Tierknochen und andere Keramikteile stecken im Auelehm – und zwar nicht nur im Flussbett, wo es als Schwemmgut abgetan werden könnte, sondern auch am früheren Ufer. „Knapp über dem gewachsenen Boden“ sind die Berufs-Buddler auf die Zeugnisse menschlicher Besiedlung gestoßen. Klar würden solche Sachen auch vom Wasser mitgerissen, sagt Bischop. „Aber nicht sehr weit.“ Er ist ein trockener Typ. Analytisch. Nüchtern. „Gerade weil es keine Aufzeichnungen aus dieser Zeit gibt, ist unsere Arbeit so wichtig.“

Auch aus höher liegenden Siedlungsschichten förderten der Archäologe und sein Zivildienstleistender Erstaunliches zu Tage: Mengen von Scherben und Austernschalen sowie drei Münzen noch unbekannten Alters steckten in den „Siedlungsschichten“ aus dem 17. Jahrhundert. „Die Leute waren nicht gerade arm zu dieser Zeit“, glaubt Bischop. Viel Zeit, dies vor Ort zu beweisen, bleibt ihm nicht. Ihm sitzt der Bagger stets im Nacken. Im wahrsten Sinn des Wortes. Freilegen, vermessen, fotografieren – dann übernehmen die Presslufthämmer die Regie. Nur wenige Fundstücke können die Scherbensammler vor den Schaufeln retten.

Vor gut einer Woche haben Bagger sogar Gewölbe freigelegt. Beim Archäologen lief das Telefon heiß. Nachbarn alarmierten ihn, kurz bevor er ohnehin zur Stelle gewesen wäre – weil er jede innerstädtische Baustelle beschaut. Die massiven Backsteinbögen waren Überreste des „Hannoverschen Kornspeichers“, der im Krieg zerbombt worden war. Das 60 Meter lange dreistöckige Gebäude war Mitte des 18. Jahrhunderts erbaut worden. Die Baumeister, weiß Bischop, waren von dem matschigen Untergrund so überrascht, dass sie in Hannover um Rat fragten, was zu tun sei. Festen Halt schufen schließlich ein Dutzend senkrechter Holzpfähle, zwei Meter lang,unter jedem Backsteinpfeiler. Sie tragen noch heute das Nachbarhaus. Auch die modernen Klosterbauer haben mit dem Sumpf zu kämpfen. Ihre Pfähle sind inzwischen aus Beton – und 18 Meter lang. hoi