Land ohne Medien

Wenn es um die künftige Radio- und TV-Landschaft in Afghanistan geht, möchte jeder ein Wörtchen mitreden

Das Thema Pressefreiheit und Medienvielfalt stand bei der Afghanistan-Konferenz auf dem Petersberg überhaupt nicht zur Debatte. Bewusst wurde die heikle Frage ausgeklammert: Wie lässt sich in einem Land ohne Fernsehtradition, ohne Tageszeitungen und mit so gut wie keinen Radiosendungen eine zeitgemäße Medienstruktur aufbauen?

Den afghanischen Stammesfürsten geht es allein um Propaganda für den Erhalt ihrer Macht, und die Friedensbringer aus dem Westen streiten über ein künftiges Bildungsprogramm. USA, Frankreich, Großbritannien, Russland – jeder will die mediale Dominanz an sich reißen.

In Washington befasst sich ein eigener Medienstab mit dem Aufbau eines globalen Mammutsenders. Rund um die Uhr werde „Free Muslim World“ ab kommendem Jahr ein Fernseh- und Radioprogramm in 26 Sprachen ausstrahlen, verkünden die Planer. Mit einem Mix aus Politik und Rockmusik wollen die Amis weltweit an die 500 Millionen Muslime anlocken.

Für Afghanistan ist diesem Medienszenario zufolge ein Subsender unter dem Namen „Radio Free Afghanistan“ vorgesehen.

Finanzieren wollen die USA ihre Weltradio-Träume allerdings nicht allein. Washington erwartet von seinen Verbündeten neben wirtschaftlicher Unterstützung auch die Mitbenutzung von Relaisstationen im Nahen Osten und Satelliten über dem asiatischen Himmel.

Und da beginnt der Streit. In London und Paris will man die Neuauflage eines Kalten-Krieg-Senders im Stil von „Radio Free Europe/Radio Liberty“ anscheinend verhindern. Bis zum Fall des Eisernen Vorhangs war die „Freie Stimme“ – von den USA konzipiert für knapp 300 Millionen Hörer im sowjetischen Machtbereich – alles andere als frei. Das Programm brachte Propaganda pur: Der Westen war gut, der Osten schlecht.

Spiel der Regierungen

Bei der BBC befürchtet man, ein Kalter Medienkrieg gegen die islamische Welt könnte verheerende Folgen mit sich bringen. Auch Radio France International versucht mit allen Mitteln, die US-Medienallüren zu bremsen.

Undurchsichtig ist dabei jedoch das Spiel der Regierungen in London und Paris. Seit dem 27. November residiert in London offiziell eine Rundfunkstation unter dem Namen „Stimme Afghanistans“, die täglich auf Kurzwelle eine Sendung für die Menschen in Kabul ausstrahlt. Fast heimlich ging die Radiogründung vor sich. Und schier unglaublich klingt die Geschichte, dass hinter dem Projekt nur der 32-jährige Geschäftsmann Said Jalal Karim stecken soll, der vor einigen Jahren als afghanischer Gastarbeiter nach Saudi-Arabien kam und dort in Windeseile zum Millionär wurde. Er gibt sich bewusst medienscheu, und die offiziell registrierte Webside lässt sich nicht öffnen. Merkwürdig finden westliche Radio-Freaks ebenfalls den Umstand, dass eine ähnliche oder eben die gleiche Station auch schon aus den Bergen Usbekistans und Tadschikistans geortet wurde.

TV für eine Minderheit

Weshalb andererseits in Kabul bis heute Radio und Fernsehen über das Stadium von Testsendungen nicht hinauskommen, überrascht alle Experten. Seit dem Sieg über die Taliban vor immerhin drei Wochen ist „Radio Afghanistan“ noch immer nicht über die Stadtgrenzen Kabuls hinaus zu hören. Und auch die kurzen Programme von „TV Afghanistan“, die angeblich nach wie vor über einen mobilen 10-Watt-Sender ausgestrahlt werden, erreichen nur wenige Haushalte. Von ähnlich kleinen Sendeanlagen, die über eine französische Menschenrechtsgruppe ins Land geschleust wurden, fehlt bislang jede Spur. Doch in Paris möchte sich dazu niemand äußern.

Da klingt es wie Hohn, dass ausgerechnet Moskau, das einst Afghanistan den Krieg erklärte und die US-Sendungen von „Radio Free Europe/Radio Liberty“ mit starken Störsendern zu unterbinden suchte, nun allen Seiten anbietet, diese Sendeanlagen jedem zur Verfügung zu stellen, der sich am Aufbau eines modernen Fernseh- und Radionetzes in Afghanistan beteiligen möchte.

Die Anlagen im südtadschikischen Dorf Kolkhozabad etwa könnten schnell wieder in Betrieb genommen werden, erklärten russische Experten bei einer Besichtigung. Und stolz fügten sie hinzu, damit wäre in jedem afghanischen Dorf ein optimaler Rundfunkempfang gesichert. Man darf gespannt sein, wer den ersten Zugriff erhält, Radio France International, die britische BBC – oder doch die Amerikaner?

ROLAND HOFWILER