Der rauchende Berg

Popocatepetl – von popoca (rauchen) und tepetl (Berg) – hatten die Ureinwohner Mexikos den legendären Vulkan in ihrer Sprache nahua getauft. In den Dörfern zu seinen Füßen heißt er heute zudem Don Gregorio, benannt nach dem heiligen Gregorius, oder in liebevoller Kurzform schlicht „Don Goyo“. Warum, weiß keiner mehr zu sagen. Der „Popo“ ist 5.452 Meter hoch, sein Krater vier mal so groß wie ein Fußballstadion. Er ist einer von fünfhundert aktiven Feuerbergen auf der ganzen Welt und gilt als einer der aktivsten Vulkane Lateinamerikas.

Kaum ein Vulkan ist derart dicht umsiedelt wie der Popocatepetl. Er liegt sechzig Kilometer südöstlich vom Ballungszentrum Mexiko-Stadt mit zwanzig Millionen Bewohnern und 45 Kilometer südwestlich von der Eineinhalb-Millionen-Stadt Puebla, Hochburg der mexikanischen VW-Produktion.

In jüngerer Zeit haben Vulkanologen vier große Ausbrüche registriert: vor 14.000, vor 5.000, vor 2.000 und vor 1.100 Jahren. Nachdem in den Zwanzigerjahren das letzte größere Grummeln verklungen war, machte der Popo erst Ende 1994 wieder mit Rauchwolken und kleineren Explosionen seinem Namen alle Ehre; zehntausende von Anwohnern wurden vorübergehend evakuiert.

War der Vulkan bis dahin als relativ leicht zu besteigender Berg ein beliebtes Ausflugsziel für Kletterer aus aller Welt, so ist der Weg zum Gipfel seither für Privatpersonen gesperrt; Spaziergänger müssen ab dem Höhenpass Paso de Cortés (3.580 Meter) mit seiner erloschenen Nachbarin Iztaccíhuatl (weiße Frau) vorlieb nehmen, eine sieben Kilometer lange Hügelkette (5.286 Meter), die mit einiger Fantasie an die Silhouette eines liegenden Frauenkörpers erinnert. Im Frühjahr 1996 wurden fünf Bergsteiger, die trotz der Absperrung den Kraterrand erklommen hatten, vom fliegenden Geröll buchstäblich gesteinigt, im Sommer 1997 war der Ascheregen erstmals bis nach Mexiko-Stadt vorgedrungen und hatte, just zur Weihnachtszeit, die Megalopolis für zwölf Stunden in eine graue Staubwolke gehüllt.

Am 18. Dezember 2000 spuckte der Popocatepetl zum ersten Mal seit Jahrhunderten größere Mengen glühenden Gesteins, und zum zweiten Mal in sechs Jahren mussten zehntausende Familien ihr Weihnachtsfest in Notunterkünften verbringen.

Der Popocatepetl ist nicht nur Teil der Landschaft, sondern auch der Nationalkultur, verewigt sowohl in den indigenen Codices als auch in Gemälden von Frida Kahlo oder in literarischen Zeugnissen wie dem berühmten Roman von Malcolm Lowry („Unter dem Vulkan“). Als „Inbild einer vollkommenen Ehe“ hatte der englische Literat den „Popo“ und seine Gefährtin „Izta“ bezeichnet.

Denn einst, so will es die Legende, soll ein junger aztekischer Krieger um die Hand einer Königstochter angehalten haben; als er siegreich aus einer Schlacht heimkehrte, die ihm Versprochene aber nur noch tot vorfand, baute er in seiner Verzweiflung eine Grabpyramide, auf deren Spitze er die Tote bettete, und eine weitere, auf der er selbst mit einer Fackel Wache hielt – im Lauf der Zeit hüllten sich die Körper in ewigen Schnee.

ANNE HUFFSCHMID