Die klassische Sau auf der Bühne

■ Als lüsterndes musikalisches Kleinkunstduo präsentieren Anke Engelsmannn und Lothar Schneider den „Frechen Abend“ im „Scenario“ in der Friesenstraße – rund um das Thema Nr.1

Sie ist ein Bühnenanimal. Und sie weiß es, die hochaufgeschossene Schauspielerin, Sängerin Anke Engelsmann. Auch wenn sie beim „Frechen Abend“ mit leiseren Tönen in Sachen szenisches Eros beginnt. So erstürmt sie geradezu schrittweise die Bühne, manchmal mit morbidem Charme, wenn sie von der Liebschaft eines mörderischen Sonderlings zu dem weiblichen Inhalt seiner Tiefkühltruhe spricht.

Die Texte, vorwiegend des 19. und 20. Jahrhunderts, stammen von wohlbekannten Männern wie Guy de Maupassant, Goethe, Morgenstern, Ringelnatz und Erich Fried oder von Rose Ausländer. Vertreter der Moderne sind Robert Gernhardt und Karin Kiwus oder Erich Krahl mit der erwähnten morbiden Anekdote. Wers gern genauer für den privaten Gebrauch wissen will, der mag sich die erfolgreichen Bände „Die klassische Sau“ und „Die neue klassische Sau“, im Goldmannverlag erschienen, zu Gemüte führen. Und wem's hilft: Der verlegerische Spürsinn legt beim ewigen Thema Nr.1 gerne nach, ein dritter Band „Die Allerneuste klassische S...“ ist beim Heyne-Verlag angekündigt.

Ihr musikalischer Partner Lothar Schneider, seines Zeichens Akkordeondozent an der Uni Oldenburg, spielt anfänglich noch etwas verhalten, steigert sich jedoch mit einem virtuosen Stück György Ligetis, dem modernen österreichischen Komponisten ungarischer Herkunft. Besonders gut kommen beim Publikum die Chansons an, die Anke Engelsmann mit ihrem angerauhten Timbre vorträgt.

Der struwwellige Blondschopf Anke Engelsmann ist einem interessierten Theaterpublikum aus den bewegten Gründerzeiten der Shakespeare-Company von 1984/85 bis zu ihrem Austritt 1990 und danach mit dem TAB-Theater aus Bremen noch in Erinnerung. Dass sie jetzt, nach dem Weggang von Norbert Kentrup von der Shakespeare-Company wieder verstärkt auf bremischen Bühnen und am 11. bis 13. Dezember der Shakespeare-Company mit einem Erik-Satie-Abend zu sehen ist, hat sicher auch persönliche Gründe.

Bremen hatte lange nicht viel von Anke Engelsmann sehen oder hören können, das von ihr mitgegründete TAB-Theater war eine nicht subventionierte Wanderbühne und hatte hier keine finanzielle Unterstützung.

Es gibt in Bremen kaum eine Lobby für eine tatkräftige Unterstützung von Kleinkunstbühnen, beklagt die Scenario-Betreiberin Simone Meyer-Heder, die als Solofrauenkollektiv einen ständigen Spagat zwischen Tanzstudio, montäglicher Swing- und Boogiebar sowie Kleinkunstprogramm ab Mitte der Woche hinbekommt. Ihr Werben bei den Bremer Kulturbehörden hatte bisher wenig Erfolg. Denn um an die finanziellen Fördertöpfe des reichlich ausgestatteten WAP (Wirtschaftspolitisches Aktions-Programm) heranzukommen, ist „das Scenario als Kleinkunstspielstätte nicht groß genug“, so Simone Meyer-Heder. Da wird nur „kulturelle Standortsicherung“ bezuschusst.

Scenario-Betreiberin Simone Meyer-Heder kann daher nicht ganz auf Quersubventionen zwischen ihren eigenen Engagements verzichten, sie koppelte eine Dessous-Modenschau mit dem Samstagsprogramm. Ob es die Industriewaren dabei mit dem so schön grotesken Bühnenmieder Anke Engelmanns aufnehmen kann, darf bezweifelt werden. Denn dabei geht es, so der Anthropologe Ted Polhemus, um die Funktion der Unterwäsche als Schutz und Verschleierung, um in gewissen peinlichen „erotischen Situationen“ die „eigene, in hohem Maße öffentliche Rolle“ aufrecht zu erhalten. Für Anhänger des schützenden Körperkultes oder Voyeure gibt es am heutigen Abend daher eine Dessous-Modenschau, zeitlich passend zum christlichen Schenk- und Kauffest der Nächstenliebe. Kris Kupka 9.12., 20.30 Uhr: „Frecher Abend“ mit anschließender Dessous-Modenschau im „Scenario“, Friesenstr. 16/19, weitere Spieltermine am 26./27.1 und 21.-23.2.2002.