piwik no script img

Moralische oder verlogene Anstalt

„Wozu das ganze Theater?“, fragte Antje Vollmer Regisseure und Dramaturgen aus Berlin bei einer Anhörung im Bundestag. Sie wollte die kritische Funktion des Theaters neu bestimmen. Die Themen Kulturpolitik und Geld aber klammerte die Bundestagsvizepräsidentin aus

von KATRIN BETTINA MÜLLER

Manchmal will man Tragödie spielen, und heraus kommt eine Revue. Am vergangenen Mittwoch hatte Antje Vollmer Regisseure, Dramaturgen, Kritiker und Verleger zu einer Anhörung über die „Krise des Theaters“ in den Bundestag eingeladen. Sie wollte über gestörte Verhältnisse zwischen Kunst und Öffentlichkeit reden: zu viel Häme in der Kritik, zu wenig politisches Bewusstsein auf der Bühne, zu viel theatralische Auftritte in der Politik, zu wenig Achtung vor Schauspielern und Autoren, zu wenig Bedeutung in radikalen Gebärden. Kann man nicht den großen inszenatorischen Aufwand aus dem öffentlichen Raum zurückdrängen und wieder ins Theater tragen, fragte die Bundestagsvizepräsidentin wunschdenkend. Aber die Theatermacher zeigten wenig Lust, eine Klage über postmoderne Beliebigkeit anzustimmen. Sie breiteten stattdessen vielfältige Strategien aus, mit diesem Befund umzugehen. So blieb die „Krise des Theaters“ auf der Strecke. Statt sich über Positionen zu streiten, fanden die Eingeladenen heraus, dass sie zusammen ein prima Spektrum bilden.

Der Ort des Treffens, der Deutsche Bundestag, ist selbst eine Bühne geworden, die von großer Zuschauerlust und inhaltlicher Verflachung zeugt. Täglich ziehen hunderte von Besuchern durch die Kuppel und besehen sich Regierungsbaustellen und Parlament. Der Architekt Norman Foster hat die Aussichtsplattform auf dem Dach bewusst als eine demokratische Geste gestaltet. Dennoch ist dies nicht mehr als ein touristisches Schauspiel.

Sehnsucht nach dem Theater als moralische Anstalt, die von partikularen Interessen weglockt und wieder Leidenschaft für das Gemeinsame entfacht, war aber ein Motiv der Anhörung. Ute Nyssen, die in ihrem Kölner Theaterverlag zeitgenössische Autoren herausbringt, warf den Theatermachern zu viel Selbstreflexion vor. Sie vermisst politische Stücke, die Ross und Reiter nennen. Warum nimmt man nicht die Bundestagsdebatte zum Misstrauensvotum als Vorlage, schlug sie vor.

Weil das Theater keine moralische, sondern eine verlogene Anstalt ist, antwortete ihr auf Umwegen Carl Hegemann, Dramaturg der Volksbühne in Berlin. Er bezog sich auf Nietzsche: Mit der wahren Welt haben wir auch die scheinbare abgeschafft. Den inszenierten Lügen in der Welt der Politik ist kein Schein des Wahren mehr entgegenzuhalten. Auch den Posten „Kreativität“ hat inzwischen die Wirtschaft den Theatermachern weggeschnappt. Als Supervisoren für PR-Agenturen, meinte Hegemann, könnte die Volksbühne prächtig verdienen. Nur wenn man sich zum Anachronismus von Theater bekenne und die Machtlosigkeit des Mediums in Zeiten von TV und Internet zugleich mit thematisiere, könne man am Theater festhalten. Hegemann stellte die Volksbühne als einen Treffpunkt von Leuten dar, die das verstaubte Teil Theater nicht lieben müssen, weil sie nüchtern untersuchen, wie es in neuen Kontexten zu beerben ist.

Auch Christoph Schlingensief, der in Hamburg, Zürich und Berlin als Erneuerer des Theatererlebens bestellt war, liegt wenig am pädagogischen Auftrag. Als Apothekersohn reize ihn aber, behauptete er gut gelaunt, die Wirkung von neuen Mischungen alter Bestandteile auszutesten. Auf die Inszenierungswut des Realen reagiert er mit dem Projekt „Theaterinflation“, marktwirtschaftlich und familienfreundlich. Fünf klassische Theatertexte, unter anderem Hamlet, werden für eine Aufführung im eigenen Wohnzimmer bearbeitet, Besetzungen auf Familiengröße zusammengestrichen, Muster für Rolleninterpretationen auf CD herausgegeben, Kostümschnitte „vom Tischtuch zum Königinnenmantel“ publiziert, mit Tipps fürs Licht und Auftrittsmöglichkeiten zwischen Schrankwand und Fernseher ausgestattet. Das gefiel außerordentlich. Schließlich sei die Institution Familie eine der Grundfesten des bürgerlichen Theaters gewesen und ihre Restauration in Zeiten des Zerfalls beste Ironie. Leider ist das Projekt zu Weihnachten noch nicht fertig.

Schlingensief war nicht der Einzige, der ein Umarmungsangebot an der Stelle machte, an der eigentlich Abgrenzung gefragt war. Antje Vollmer hatte verschiedene Konfliktfelder für die Geladenen vorgesehen: zwischen Textzerstörern und neuer Poesie, zwischen Schauspielkunst und Regie-Allmacht, zwischen Befragung der Klassiker und Gegenwartstheater. Aber niemand wollte auf seiner Form des Theaters als der einzig richtigen beharren. Die als „Vatermörder“ bestellten sahen sich schon in einer „Bruderhorde“ aufgewachsen, deren Väter sich selbst als autoritäre Instanz abgeschafft hatten. So konnten die Schauspielerin Elke Petri, die zum Schaubühne-Ensemble unter Peter Stein gehörte, und Jens Hillje, zurzeit Dramaturg an der Schaubühne, ihre unterschiedlichen Interessen an Theater einfach nicht als Generationskonflikt austragen. Jeder macht seins.

Doch dieses Nebeneinander war einigen zu kalt. Antje Vollmer bekannte, noch nie mit so viel Sehnsüchten nach einer anderen Welt ins Theater gestürzt zu sein wie nach dem 11. September. Um sich nicht von den Themen Krieg und Terror unterkriegen zu lassen. Schließlich ist Trost suchen auch legitim, meinte Ute Nyssen. Stephan Märki, Generalintendant des Deutschen Nationaltheaters Weimar, vermisste in der „gepanzerten deutschen Theaterseele Empathie“. Intellektueller Hochmut verhindere das Fließen der Menschenliebe. Doch das Theater als sinnlicher Ort der Verführung kam bei den Berliner Theaterleuten, die die Tagung dominierten, nicht weiter vor.

Für Zoff sorgten allein Claus Peymann vom Berliner Ensemble und Rüdiger Schaper, Redakteur des Tagesspiegels, der für den Part „unbarmherziger Theatervernichter“ vorgesehen war. Peymann musste viele Worte um etwas machen, das er für null und nichtig hält: Kritiken interessieren weder Theaterleute noch Publikum, Langeweile und Überdruss bestimmen den Kritiker, hoffnungslos und unsinnig die Texte. Schaper verwies auf den historische Verflechtung von Theater und Kritik in Berlin seit Beginn der Moderne: Die eine Seite war immer nur so gut wie die andere.

Ausgeklammert hatte Antje Vollmer die Rede über Kulturpolitik und Geld. Das war eine merkwürdige Beschränkung am Ort der Politik. Denn am Rande blitzte stets das Wissen auf: Bezieht man politische Rahmenbedingungen und die Finanzsituation der Theater ein, dann ist sie voll da, die „Krise“. Denn wenn es um die Verfügung über Produktionsmittel geht, dann ist das traute Nebeneinander nur noch eine schöne Vorstellung.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen