Warum liebst du mich nicht?

Giles Foden erzählt von einer recht fatalen Affäre in Afrika: der eines europäischen Arztes mit Idi Amin – in „Der letzte König von Schottland“ hat der Diktator Ugandas eine ganz elementare Faszination

von KARSTEN KREDEL

Eigentlich ist „Seine Exzellenz, Präsident auf Lebenszeit, Feldmarschall Al Hadj Doktor Idi Amin Dada, VC, DSO, MC, Herr der Tiere des Erdkreises und der Fische im Meer“ eine Witzfigur. Zumindest würden ihn die Europäer gern so sehen, die beim Bankett des Diktators ihre markierten Plätze eingenommen haben. Unter ihnen der junge Arzt Nicholas Garrigan, der der engen Welt seiner Kindheit den Rücken gekehrt hat. Nur dass er weg wollte, wusste er – aber wohin? Er landet – und folgt damit einer ganzen Ahnenreihe von Figuren der europäischen Geschichte und Literatur – in Afrika. Einige Zeit später ist er, ebenso unbeteiligt wie bedenkenlos, zum Leibarzt Idi Amins geworden, der gerade den versammelten Botschaftern den Geschmack von Menschenfleisch beschreibt.

Eine kalkulierte Provokation? Oder ist der Mann, dem sie zur Macht verholfen haben, ein Irrer? Die Anwesenden reagieren mit Herablassung und Furcht, doch bei Garrigan kommt noch etwas hinzu: Faszination. Und viel später, als der Exzentriker längst zum Massenmörder geworden ist und die westlichen Diplomaten das Land verlassen haben, sogar eine seltsam intime Zuneigung.

Der britische Schriftsteller und Journalist Giles Foden hat die Erzählung seines Debütromans „Der letzte König von Schottland“ in die Hände eines moralischen Idioten gelegt. Es sind die Erinnerungen Garrigans, der 1971 nach Uganda kommt, um in einem ländlichen Krankenhaus zu arbeiten. Stunden nach seiner Ankunft sieht er Panzer an seinem Hotel vorbeifahren; es ist die Nacht der Machtergreifung Idi Amins. Da er unbehelligt bleibt, ignoriert er die Entwicklung. Als ihn ein Beamter der englischen Botschaft auffordert, die Augen offen zu halten, ist ihm das unangenehm. Was wird von ihm, einem unbeteiligten Arzt, verlangt?

Sein Unbehagen an den neokolonialen Machtspielen entspringt jedoch keiner Haltung, Garrigan möchte schlicht in Ruhe gelassen werden. Er tritt seine Stelle an und protokolliert eifrig Fauna, Flora und medizinische Symptome. Dann ist Amin in der Gegend und rast mit seinem roten Maserati in eine Kuh. Garrigan behandelt den am Straßenrand sitzenden Diktator und spürt eine „elementare Kraft“ von ihm ausgehen. Bald darauf erhält er die Berufung zum persönlichen Arzt Amins – eine gute Gelegenheit, denkt Garrigan, um die missglückte Affäre mit Sara, einer israelischen Kollegin, zu vergessen. Sonst denkt er eigentlich nichts.

Der Diktator und der Doktor. Beide haben etwas gemeinsam: eine wirkungsmächtige Fantasie. Eine der bizarrsten Vorstellungen Amins lassen ihn zum Anwalt des „tapferen schottischen Volkes“ werden, dem er sich als König anbietet. Garrigan ist Schotte und nimmt die Offerte an. Als Kind entkam er der religiösen Strenge seiner Familie durch Ausflüge in imaginäre exotische Welten. In Afrika interessieren ihn vor allem die Mythen – Idi Amin ist einer davon und Garrigan schreibt ihn fort.

Dabei sieht er sich als Chronist, doch seine Wirklichkeit ist zerlegt in präzise beobachtete Einzelheiten. Der Blick geht so nahe an den Gegenstand heran, dass kein Gesamtbild entsteht. Eine Schusswunde wird mit zärtlicher Liebe zum Detail beschreiben, während der Verletzte unsichtbar und ohne Identität bleibt. Arzt zu sein bedeutet hier zugleich Aufklärung und ihr Gegenteil: selbst verschuldete Unmündigkeit.

Garrigans Komplizität mit Amin ist ein Versagen der Einfühlung. Er weiß, dass um ihn herum tausende ermordet werden, aber er lässt sich davon nicht berühren. Die Wirklichkeit gerät zum Pool von Bildern, die er einsammelt und zu schrulligen Impressionen zusammensetzt. Foden hat die Schräglage seiner Wahrnehmung in eine Sprache übersetzt, die in ihrem Oszillieren zwischen klinischer Sachlichkeit und emotionalen Stillleben Unbehagen bereitet. Sie zeichnet die morbid-komische Welt von einem, der so sehr an sein eigenes Versagen glaubt, dass er moralisch anspruchslos geworden ist. Garrigans ethischer Leitsatz lautet: „Das Wichtigste ist, seinen Mitmenschen möglichst wenig Schaden zuzufügen.“

Er bleibt auf seinem „grausigen Logenplatz“ – und wird gut unterhalten. Idi Amin tritt auf als der enigmatische Star, der sein Publikum nach Belieben beherrscht. Ein Monster, aber ein Monster des Westens, dessen Irrsinn sich aus den politischen Mythen Europas speist, die ins Irrationale gewendet sind. Amins diplomatische Macken sind eine Persiflage von Weltpolitik, zu der die Botschafter so lange gute Miene machen, wie die eigenen Interessen gewahrt sind. Und Garrigan, egal wie makaber oder brutal die Spiele, denen er beiwohnt, findet überall Anlass zur Sinnstiftung in eigener Sache. „Idi“ ist Ungeheuer und Weiser, Seher und Engel, Ersatzvater und Geliebter. Sein riesiger Körper, eklig und schön zugleich, wird dem Leibarzt zum Fixpunkt seiner Betrachtungen. „Warum liebst du mich nicht?“, fragt Amin, und Garrigan erstarrt vor Schuld. Wie ein Liebhaber verlässt er seinen Herren, um am Ende doch zurückzukehren.

Amin wird so paradoxerweise zur einzigen Person, der Garrigan als Mensch oder, gemäß Emmanuel Levinas’ Diktum, von Angesicht zu Angesicht begegnet. Am Ende sehen wir ihn auf einer abgelegenen schottischen Insel konstatieren, dass sein Leben gelebt ist. Er kann sie jetzt nur noch aufschreiben, die Geschichte von Idi und ihm.

Giles Foden: „Der letzte König von Schottland“. Aus dem Englischen von Ulrich Blumenbach. Aufbau-Verlag, Berlin 2001, 429 Seiten, 20,41 € (39,90 DM)