„Xerxes“ zwischen Pathos und Comedy

■ In Wolfgang Lindners opulenter Schlagzeug-Sinfonie prallen Widersprüche aufeinander

Fackeln und Schwarzlicht beleuchten die Bühne. Auf vier Etagen ist eine Welt aus Metall und Schlagzeugen aufgebaut. Im Rhythmus der Trommeln bewegen sich drei Tänzerinnen, Ölfässer werden zu Trommeln, die Trommler selbst werden zu Tänzern. Mit Leidenschaft bearbeiten sie ihre Fässer, Bewegungen verschmelzen mit Rhythmus, Tanz und Beleuchtung zu einem lebendigen Organismus. Jedes Teammitglied liefert dabei eine ganz eigene Interpretation des Ganzen, gleichzeitig interpretieren sich die Musiker ständig gegenseitig, bewegen sich ständig zwischen den verschiedenen Ebenen der Bühne und geben dem Geschehen damit eine unglaubliche Dynamik.

Hartes, rhythmisches Trommeln erweckt die Atmosphäre eines ägyptischen Tempels. Ganz oben steht er, Xerxes, und blickt majestätisch hinab auf das Spektakel, das Wolfgang Zabba Lindner ihm zu Ehren inszeniert hat, hinter ihm ein riesiger Gong – die Sonne. Unten bewegen sich die Tänzerinnen wie wilde Tiger im Käfig, fast hört man sie fauchen. Dann plötzlich von Lindner ein „One, two – one two three four“, Keyboard und Bass setzen ein, es groovt und plötzlich sind wir weit weg vom Tempel mitten in der Moderne, irgendwo zwischen Stomp und West Side Story, einige Zuschauer fangen an zu tanzen. Dann gibt es sphärisch-melancholische Passagen die sich anfühlen wie einsame Nächte am Strand, verloren in der Erinnerung an eine vergangene Liebe.

Traumhaft könnte die Show sein, wenn da nicht der Meister selber wäre, Wolfgang Zabba Lindner, der sich durchgehend freut wie ein Honigkuchenpferd – über sich selbst, sein Team und die Vorführung, selbst in den dramatischsten Momenten aus dem Strahlen kaum mehr herauskommt und das Publikum sogar einmal zum Mitklatschen auffordert – wir sind doch hier nicht beim Musikantenstadl, denkt man irritiert. Überhaupt gehört das Klatschen zwischen den einzelnen Akten verboten – jedes Mal reißt es wieder heraus, aus der Traum- und Zauberwelt der Trommeln.

Wenig pathetisch und auf ihre Art genial sind die Comedy-Einlagen: Die Tänzerin, die sich in Mannequin-Manier den Hut in die Stirn zieht und ihn schließlich ihrer Partnerin überlässt, der Bassist, der in einem Solo-Part die Pipi-Lang-strumpf-Melodie zum besten gibt oder Indiana Jones persönlich beim Schlagzeug-Solo. Als dann aber Lindner selbst noch ein ellenlanges Solo gibt, das weder Comedy noch Pathos ist, wirkt das fast wie eine Vorspiel-Demonstration – dabei braucht er uns doch gar nicht mehr zu beweisen, dass er ein begnadeter Schlagzeuger ist. Und wenn Lindner mitten auf der Bühne einen Flirt mit der jungen afrikanischen Tänzerin inszeniert, ist eindeutig die Grenze des guten Geschmacks erreicht.

„Xerxes“ bietet nicht nur, wie der Titel verheißt, „berauschende Bewegungen im Trommelfeuerwerk“. Insgesamt ist es – ob gewollt oder nicht – vor allem eine Zelebration der Widersprüchlichkeit. Laut und leise, symmetrisch und asymmetrisch, Pathos und Comedy, Individuum und Verschmelzung im „Greater Being“ liefern sich im zweistündigen Spektakel ein spannendes Mit- und Gegeneinander.

Ein gewagtes Experiment, eine Gratwanderung, die im Stück zwar meist gelingt, aber immer gefährlich ist. Es gibt Phasen, in denen sich der Zuschauer in der Welt der Musik, der Bewegung und der Träume verliert – um dann jäh wieder wachgerüttelt zu werden durch etwas völlig Neues, Anderes. Wer bereit ist, eindeutige Erwartungen an das Stück abzulegen und sich auf das einzulassen, was tatsächlich auf der Bühne passiert, wird Gefallen finden an den interessanten Wendungen und Ideen, die „Xerxes“ zu bieten hat. Andere könnten sich überfordert fühlen und irgendwann abschalten.

Vivien Mast

Außer montags bis einschließlich 22. Dezember um 20 Uhr im Tivoli, Hannoversche Straße 11. Karten bei allen bekannten Vorverkaufsstellen und unter www.kartenhaus.de