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Das Glück ist ein Arbeitszimmer
: Die neue Übersichtlichkeit

Seit zwei Wochen habe ich ein Arbeitszimmer. Vielleicht bin ich sogar ein Arbeitszimmer und sollte sagen, es ist großartig, ein Arbeitszimmer zu sein!

Die letzten sieben Jahre war mein Arbeitszimmer eher eine Fiktion für die Steuer. Die Zimmer, in denen ich bis vor zwei Wochen gearbeitet hatte, waren multifunktional, wobei die Funktionen wechselten. Mal war der Schreibtisch kombiniert mit Fernseher und dem Bereich für geselliges Zusammensein, mal stand er zusammen mit einem Bett in einem Zimmer. Das wechselte alle paar Wochen. Nun ist alles entzerrrt: In dem einen kleinen Zimmer wird nur geschlafen, in dem anderen nur gearbeitet und in dem großen macht man Geselligkeit oder Fernsehen. Das Leben ist plötzlich übersichtlich und eine runde Sache.

Die Unordnung beschränkt sich nun eher auf mein Arbeitszimmer und ist dort auch irgendwie ordentlicher, da sie weniger Raum hat, sich auszubreiten. Je mehr Wände man hat, desto kleiner ist die Unordnung. Mathematiker sollten daraus mal eine Messieformel entwickeln.

Vormittags und nachts können ich und mein Arbeitszimmer am besten. Das ist ein verbreiteter Rhythmus, von dem häufig auch Leute berichten, die etwa an ihrer „Diss“ sitzen. Manchmal sitzt man so nachts hier herum und schaltet das Radio ein. Bekanntlich aktiviert ständiges Spielen von Musik den Chi-Fluss und verhindert, dass übermäßig viel Yang-Energie aufgebaut wird, wie jeder Feng-Shui-Experte weiß. Gegen zwanzig vor eins war Freund Kuttner im Radio und sagte mit genervter Stimme: „Ich habe gefragt, ob jemanden mein Sinnen und Trachten interessiert.“

Eine Weile, vielleicht nur zwei Minuten, rief niemand an oder die, die anriefen, wurden gleich wieder rausgeschmissen. Dann war eine Frau am Telefon. Sie sagte, sie interessiere sich wirklich für das kuttnersche Sinnen und Trachten. „Echt?“ – „Echt!“ Sie klang, als glaube sie, der Moderator sei gerade in einer Sinn- und Existenzkrise, und schien drauf und dran, den berühmten Mielke-Satz andersrum zu sagen: „Dich lieben doch alle!“ Kuttner fragte, ob sie Mutti sei. Dann gab es eine kurze Verwirrung, weil er zunächst verstanden hatte, sie sei keine Mutti, und dies mit einem „Zum Glück“ kommentiert hatte. Er nuschelte lustig Relativierendes und sagte dann mehrfach: „Mein Sinnen und Trachten ist darauf gerichtet, die kurze Zeit bis eins totzukriegen!“ Man spürte, dass sich die Frau an ihrem Telefon irgendwo im Brandenburgischen innerlich schon längst abgewandt hatte, während ihre Stimme noch weiter sprach.

Ein paar Tage später war dann Sarah Kuttner, die Tochter, bei Harald Schmidt zu Gast. Unter Hunderttausenden war sie als Viva-Moderatorin gecastet worden. Harald Schmidt war an diesem Abend unglaublich gut drauf. Sieben mal grüßte er Kuttner, den „Weltklassemoderator“. Kurz parodierte er ihn auch.

Später dann gab’s im Prater eine vielschichtige Veranstaltung, die das Thema Vorstadt thematisierte – hier „suburbia“ genannt, weil's besser klingt. Ein DJ spielte einen Song von Tocotronic, der die „Verachtung für Backgammonspieler und Fahrradfahrer formulierte“, sich also gegen die so genannten Kifferspießer wandte. Das ist falsch. Ich bin kein Kifferspießer! Und anders als die vornehmen Herren von Tocotronic meinen, ist Backgammonspielen und Fahrradfahren super und es wäre viel richtiger, Autofahren und Alkoholtrinken zu verdammen! Und um neue Argumente zu finden, werde ich später das grad im Merve-Verlag erschienene Büchlein „Lebenssehnsucht und Sucht“ von Peter Weibel lesen.

DETLEF KUHLBRODT