Bibel-Karussell

Im Hamburger „Hörstuhl“ kann man mit dem Neuen Testament schwitzen  ■ Von Annette Kohlmüller

Hamburg ist um eine Attraktion reicher. Ab sofort können gestresste Gottesdienstbesucher, Touristen, Liebespaare und Hörspiel-Freunde im Michel einen Ort der Ruhe und Besinnung finden. Voraussetzung ist: Sie haben keine Platzangst! Ein gut zwei Meter hoher, schalldichter Holzkasten, von außen und innen knallrot lackiert, steht kurz hinterm Eingang, eingeklemmt zwischen Kirchenbänken und Treppenaufgang zur Empore. HÖRSTUHL prankt in grellen Neonlettern über dem Objekt. Das Ganze erinnert eher an eine englische Telefonzelle oder, wie eine Besucherin treffend bemerkte, an eine finnische Sauna.

„In dieser Kabine können Gäste das Wort Gottes ungestört vernehmen“, preist Pastor Helge Adolphsen seine neue Errungenschaft. Im Inneren ertönt über zwei Lautsprecher in den Wänden eine 45-minütige CD mit ausgewählten Passagen des Neuen Testaments. Per Knopfdruck kann man vor- und zurückspulen und sich die passenden Stellen aussuchen. „Wie ein Lexikon für das Wissen ist die Bibel ein Nachschlagewerk für Lebensfragen“, so der Initiator des ganzen Projekts, Hans-Jürgen Schlesinger.

Zwei Personen gleichzeitig haben Platz auf der mit rotem Samt beschlagenen Sitzbank. Eine abgedunkelte Glühbirne schafft schummrige Atmosphäre, von draußen dringen gedämpfte Orgeltöne. „Da können sich vielleicht auch Personen zusammenfinden, die sich noch gar nicht kennen“, schwärmt der Pastor.

Eine zeitliche Begrenzung gibt es für den Aufenthalt im Hörstuhl nicht. Schließlich muss Einkehr und Stille gewährt sein. Sollte der Besucherandrang zu groß werden, müssen die anderen eben warten. Adolphsen: „Das ist wie beim Karussellfahren, da stehen die Leute doch auch Schlange.“

Ein Problem hat er allerdings noch nicht gelöst: Bei geschlossener Tür lässt sich nicht erkennen, ob die Kabine besetzt ist oder nicht. Und abschließen kann man nur von außen. Ein Schild „Besetzt“ findet der Pastor zu profan. In Frage käme für ihn eher ein rotes Lämpchen - nach Art der Beichtstühle, versteht sich.

Die Idee zum Hörstuhl stammt von Hans-Rüdiger Schlesinger. Der Unternehmer hat im vergangenen Jahr eine Initiative gestartet und die gesamte Luther-Bibel von Hamburger Bürgern lesen lassen. Etwa 24 Stunden Neues Testament sind bereits als DVD im Handel erhältlich, weitere 100 Stunden Altes Testament sollen im nächsten Jahr auf dem digitalen Tonträger erscheinen.

BesucherInnen des Michels können im Hörstuhl jedoch nur Ausschnitte hören. Wer auf den Geschmack gekommen ist, muss die DVD erwerben. Wie Schlesinger versichert ,geht der Gewinn - wie sich das gehört - an caritative Einrichtungen. „Ich wollte mit dieser Aktion keinen Gewinn machen. „Mir ging es darum, in meinem Leben etwas Dauerhaftes zu schaffen. Und ich denke, das habe ich erreicht“, so der Geschäftsmann.