Keine Genugtuung für Tim Koehne

■ Nach 22-monatiger Ermittlung bleiben die Schläge, die der Schüler Tim Koehne an Silvester 2000 auf zwei Polizeiwachen erlitt, ohne Folgen / Alle Strafermittlungen beendet

Alle Ermittlungen im Fall Tim Koehne sind eingestellt. Die Verfahren rechtskräftig abgeschlossen. Für die Verletzungen, die der Schüler Tim Koehne in der Silvesternacht 2000 auf zwei Innenstadtwachen erlitt, braucht sich kein Polizist vor Gericht zu verantworten. Das ist das Ergebnis von über 22-monatigen Ermittlungen von Polizei und Staatsanwaltschaft.

Zu Erinnerung: In der Milleniums-Slvesternacht feierte der Tim Koehne nicht nur ins neue Jahrtausend, sondern auch in seinen 18. Geburtstag hinein. Auf den Domtreppen, betrunken, mit Freunden. Dabei kommt es dabei zu einer Rauferei. Polizeibeamte greifen ein und nehmen das protestierende Geburtstagskind mit in die damalige Wache Sandstraße.

Im Schwitzkasten. Noch ist Tim Koehne unverletzt. Als er Stunden später das Innenstadtrevier verlässt, wohin er zwischenzeitlich gebracht wurde, haben Beamte ihm das Blut, das aus Mund und Nase floss, schon aus dem Gesicht gewischt. Aber Koehne hat eine geprellte Hüfte, blaue Flecken auch im Gesicht, Würgemale am Hals und eine Kopfverletzung. Die Fotos von dem verletzten, nur 57 Kilo schweren Jungen sorgen für öffentliche Empörung.

Mittlerweile steht fest: Auch die beiden letzten Polizisten, gegen die im Zusammenhang mit den schweren Verletzungen ermittelt wurde, kommen ungeschoren davon. Kein Einzelfall bei Anklagen gegen Polizisten: Da nie ganz geklärt werden kann, wer denn eigentlich zugeschlagen hat, läßt sich bei ähnlichen Vergehen auch nur sehr selten ein konkreter Schuldiger ausmachen.

Vom Tisch sind auch die von der Staatsanwaltschaft ursprünglich geforderte Schmerzensgeldzahlung über 500 Mark, sowie der Strafbefehl über 12.500 Mark, gegen je einen der beiden Beamten.

Bereits im September 2000 hatte die Staatsanwaltschaft ihre Ermittlungen gegen 11 von 13 Beamten wegen des Verdachts auf schwere vorsätzliche Körperverletzung im Amt eingestellt. Bis dahin hatten fünf Beschuldigte konsequent geschwiegen. „Die Angaben der zahlreichen Polizeizeugen seien nicht sehr ergiebig“ gewesen, vermerkten denn auch die Ermittler. Kaum war das Verfahren gegen die meisten Beamten jedoch eingestellt, begannen die nun Entlasteten zu reden – und entlasteten auch die letzten zwei Beschuldigten. So jedenfalls begründete Oberstaatsanwalt Horst Nullmeyer den Umschwung der von ihm geführten Ermittlungen im Herbst dieses Jahres gegenüber der taz. „Es gab neue Erkenntnisse.“

Monate zuvor hatte der Staatsanwalt noch einen Strafbefehl gegen einen der beiden letzten Beschuldigten beantragt. Zur Begründung war die „Brutalität des Vorgehens des Beschuldigten“ angeführt worden. Die „multiplen Kopfverletzungen“ von Tim Koehne seien „nur durch vielfache gewaltsame Einwirkungen zu erklären“. Weiter begründete er: „Tim Koehne waren zum Zeitpunkt der Tat die Hände auf den Rücken gefesselt, zudem waren Fußfesseln angelegt. Ein Angriff stand weder bevor noch war ein solcher auch nur zu befürchten. Der in dieser Situation versetzte Faustschlag ins Gesicht konnte auch nicht den Hauch einer Rechtfertigung haben. Er stellt einen erheblichen Verstoß gegen polizeiliche Amtspflichten dar.“

Den so begründeten Antrag auf einen Strafbefehl über 12.500 Mark lehnten die Gerichte inzwischen ab; ebenso den Widerspruch der Staatsanwaltschaft dagegen. „Im Zweifel für den Angeklagten“, lautete die Begründung. Die unsichere Erinnerung des einzigen Zeugen – Tim Koehne –, sowie dessen Erregung zur Tatzeit und die zwei Promille Alkohol im Blut würden Zweifel an seiner Verlässlichkeit aufwerfen. Eine Verurteilung des angeschuldigten, schwerer belasteten Polizisten sei mithin nicht erwarten. Zugleich gesteht das Gericht zu, dass aufgrund von Koehnes Aussagen „der erhebliche Verdacht besteht, dass – über den durch Notwehr gerechtfertigten Faustschlag des Zeugen M. hinaus – der Zeuge von einem oder mehreren Beamten Schläge erlitten hat, die zwar durch sein Verhalten provoziert, aber nicht gerechtfertigt waren.

Solche Sätze könnten der Stoff sein, der ein immer noch mögliches Zivilverfahren des geschlagenen Koehne gegen die Stadt vielleicht nicht ganz aussichtslos macht. Ob es dazu kommen wird, ist noch offen.

Eva Rhode