Stadt mit deutscher Hilfe geflutet

Abflusskanäle am Tehri-Staudamm in Indien geschlossen. Wasser hat bereits Teile der Stadt überflutet. Tausende Einwohner weigern sich, ihre Häuser zu verlassen. Bundesregierung unterstützt den Bau mit einer Exportbürgschaft für Siemens

von HANNES KOCH

Die Überflutung der indischen Stadt Tehri hat begonnen. Drei Abflusskanäle unter dem Staudamm, dessen Bau die Bundesregierung mit einer Exportbürgschaft unterstützt, sind Ende der vergangenen Woche geschlossen worden. Seitdem steigt das Wasser in der zukünftigen Talsperre. Eine Slumsiedlung wurde bereits überschwemmt, etwa 200 Menschen haben dadurch ihre Häuser verloren.

Mehrere tausend Einwohner von Tehri nordöstlich der indischen Hauptstadt Neu-Delhi weigern sich nach Informationen von indischen Bürgerrechtsgruppen, die Stadt zu verlassen. Täglich finden Protestversammlungen und Sit-Ins statt. Einige Familien beteiligen sich an einem Fastenstreik. Sie wollen erreichen, dass zumindest einer der Abflusstunnel wieder geöffnet wird, damit das Wasser sinkt. Die engagierte Schriftstellerin Arundhati Roy unterstützt die Gegenwehr.

Sämtliche öffentlichen Einrichtungen in Tehri hat die Provinzregierung bereits geschlossen. Die Strom- und Telefonverbindungen wurden gekappt. Nur einige private Geschäfte versorgen die Bevölkerung noch mit Lebensmitteln. Die einzige Brücke über den angestauten Zufluss des Ganges ist nur noch für Fußgänger passierbar. Indem sie das Wasser langsam steigen lassen, wollen die Behörden erreichen, dass die Einwohner die Stadt verlassen. Wird auch der letzte Abflusstunnel geschlossen, versinkt Tehri in den kommenden Monaten komplett in dem Stausee, der über 200 Meter tief sein wird.

Der Siemens-Konzern baut eine Schaltanlage, die den Strom der Kraftwerke am Damm verteilen soll. Unlängst hat das Unternehmen auf Druck von Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) eine Hermes-Exportbürgschaft von 70 Millionen Mark erhalten, die den Auftrag absichert. Entwicklungsministerin Heidi Wiezcorek-Zeul (SPD) und Außenminister Joschka Fischer (Grüne) hatten sich gegen die Bürgschaft ausgesprochen.

Nach Information des deutschen Entwicklungsverbandes Urgewald hat die indische Regierung vielen Einwohnern keine akzeptablen Umsiedlungsmöglichkeiten angeboten. Die Ersatz-Stadt Neu-Theri liege höher als Alt-Tehri an einem Berghang. In dieser Höhe ist die Schicht des Mutterbodens bereits so dünn, dass Landwirtschaft kaum noch möglich sei. Die Umsiedlung nehme daher den Bauern ihre Lebensgrundlage.

Viele Menschen haben zudem keine Möglichkeit, sich legal umsiedeln zu lassen. Die Bewohner des überfluteten Slums gehören größtenteils der unteren Klasse, den früheren Unberührbaren, an, die ihr Land quasi besetzt haben. Sie verfügen über keine Besitzurkunde und bekommen deshalb keinen Ersatz.

Der Bau des Dammes am Fuße des Himalaya ist seit Jahren umstritten.

Führende indische Wissenschaftler und Umweltschützer argumentieren, dass die Talsperre in einem erdbebengefährdeten Gebiet liegt. Das Epizentrum eines starken Bebens von 1991 war 45 Kilometer entfernt.