piwik no script img

Freier Fall ins Kristall

Immer in Bewegung bleiben: Mit „Novalis Kenotaph“ erinnert das Museum der Dinge an den romantischen Dichter und Philosophen Novalis. 200 Jahre nach seinem Tod wird er als Urahn des Denkens in Analogien beschworen

Die Nacht, der Schlaf und der Traum haben im Museum der Dinge, dem ehemaligen Werkbundarchiv, schon oft einen besonderen Stellenwert erfahren. Erkenntnis wird hier nicht nur im Licht des Tages gewonnen, sondern oft da, wo die Dinge ihre scharfen Kanten verlieren und sich zu ähneln beginnen.

In drei Räumen der Dämmerung und der Schatten, des Unterirdischen und des Ungewissen, inszeniert das Museum jetzt auch seine Erinnerung an den Dichter und Philosophen Novalis. Die Hommage an den romantischen Künstler und Wissenschaftler ist karg und doch voller Bezüge zu der Arbeit des Museums selbst. Denn ebenso wie Novalis beschäftigt sie eine permanente Suche nach verborgenen Sinnschichten und eine Lesbarkeit der gewöhnlichen Dinge jenseits ihrer alltäglichen Funktion.

Seine Lebensdaten finden sich im ersten Raum handschriftlich auf die Wände geschrieben: Als er im März 1801 mit nur 28 Jahren starb, war er durch Freundschaft und Gespräche fest im Kreis von Friedrich Schlegel, Hölderlin und Schelling verankert. Die Liebe zu Sophie von Kühn, die schon mit vierzehn Jahren starb, und die Arbeit als Bergwerksassessor haben in seinem Werk Spuren hinterlassen. Er suchte den Tod als Durchgang zu einer anderen Zustandsform zu begreifen. Er lernte aus der Geologie, in jedem Gegenstand die Spuren einer Metamorphose zu entdecken.

Aber die schwärmerische und poetische Sprache, in der Novalis die Beziehungen zwischen allem und jedem herstellt, ist flüchtig. Sie lässt in ihrem Fluss etwas sichtbar werden, was sich außerhalb der Worte kaum festhalten lässt. Dem trägt die Ausstellung Rechnung, indem sie kurze Sätze von Novalis auf den Karten eines Mobiles lesen lässt und zwei längere Zitate aus „Den Lehrlingen zu Sais“ und den „Hymnen an die Nacht“ nur hören lässt, während man in einer Landschaft aus Sand, Kristallen, Knochen, Kohle, Versteinerungen und Quarzen steht. Der kurze Atem der Sprache streicht über die Dokumente der Erdgeschichte wieder und wieder in einem Loop hinweg. Man kann sich des Sinns in allem immer nur für die Momente der Aufführung vergewissern. Visuelle Assoziationen, wie die ziehenden Wolken, die die Vorstellung einer sich ständig ändernden Schrift hervorrufen, werden per Video eingespielt. Die Bilder erscheinen auf einem Segel, das ebenso gut zum aktuellen Bild des Surfers passt wie als Metapher des Schwebens.

„Schweben“, meint Eckhard Siepmann, fast zwanzig Jahre lang Leiter des Werkbundarchivs und heute wissenschaftlicher Mitarbeiter im Museum der Dinge, „gehört zu den Lieblingsvokabeln von Friedrich von Hardenberg.“ Schweben kann bedeuten, sich vermittelnd zwischen Polen aufzuhalten, die unvereinbar scheinen, wie die Vernunft der Aufklärung und die Magie des Märchens.

Seine Sprache versucht fast in jedem Satz von dem einen zum anderen durchzudringen und, was in dem einen Bereich als Fakt gilt, in einem anderen als poetische Wunderschrift zur Disposition zu stellen. Aus seinen vielen Reflexionen und Fragmenten zu einer universalistischen Enzyklopädie hat Siepmann einige Zitate ausgewählt, die verblüffen, weil sie Denkfiguren des digitalen Zeitalter vorauszunehmen scheinen. „Das Resultat einer vollständigen wissenschaftlichen Universalmaschine würde eine Natur, oder ein Chaos sein“, zieht auf einem Kärtchen an den Augen vorüber. „Das Weltall zerfällt in unendliche, immer von neuem Welten, wieder befasste Welten“, kommt dann in den Blick. Doch so sehr diese Sprache auch suggeriert, einen bedeutenden Zipfel des Ganzen zu erlangen, so wenig verträgt sie die Suche nach einem konkreten Ziel. Man muss immer in Bewegung bleiben, von einem zum nächsten übergehen. In „Novalis Kenotaph“ ist dies selbst zum Prinzip der Organisation des Materials geworden und so kann man eher von einer Text- und Bildaufführung denn von einer Ausstellung reden.

KATRIN BETTINA MÜLLER

Bis 30. Dezember, Mi–Mo 10–20 Uhr, Museum der Dinge im Martin-Gropius-Bau, Niederkirchnerstraße 7, Kreuzberg

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen