Nach der Diktatur

Morgen, am Sonntag, 16. Dezember, finden Parlamentswahlen in Chile statt. Augusto Osvaldo Pinochet, Sohn des früheren Diktators, tritt im Bezirk Talco im Süden des Landes als unabhängiger Kandidat an. Davon abgesehen dürfte der Fall Pinochet für den Ausgang der Wahlen kaum eine Rolle spielen.

Das Strafverfahren gegen Augusto Pinochet, dessen siebzehnjährige Diktatur (1973–1990) als eine der brutalsten Lateinamerikas gilt (mindestens dreitausend Tote, 1.200 spurlos Verschwundene, zehntausend ins Exil Getriebene) wurde in diesem Juli von den Richtern in Santiago aus Gesundheitsgründen eingestellt. Eine Wiederaufnahme, auf die vor allem die Opferverbände drängen, gilt als unwahrscheinlich.

Die Empörung innerhalb der Bevölkerung über diese abgewürgte Debatte um die Vergangenheit des Landes ist gering: Für die meisten war allein die Tatsache, dass Pinochet überhaupt angeklagt wurde, Sensation genug. Ins öffentliche Bewusstsein und in die Geschichte wird er als Verbrecher eingehen, egal ob rechtskräftig verurteilt oder nicht.

Noch Anfang Mai 2001 waren einer repräsentativen Umfrage der Universidad Católica zufolge immer noch rund fünfzig Prozent der Bevölkerung überzeugt davon, dass die Militärherrschaft einst nötig war, um die Ordnung im Land wiederherzustellen, und dass Pinochets Politik, was beispielsweise Wirtschaftsfragen anging, durchaus als lobens- und verteidigenswert gelten könne.

Auch nach seinem Abtritt als Diktator saß Augusto Pinochet wie ein Übervater weiterhin im Senat, blieb Oberbefehlshaber der Armee und mischte sich in die Politik ein.

Der Diktator ist nicht vom Volk gestürzt worden, sondern hatte über seinen Abgang 1988 aus eigenem Dafürhalten abstimmen lassen – per Plebiszit, das er nur knapp verlor. Aufgrund der instabilen Machtverhältnisse wurden politische Kontroversen über die Vergangenheit vermieden. An der Wahrheits- und Versöhnungskommission, die Präsident Patricio Aylwin (1990–1994) ins Leben rief, nahmen viele Militärs nicht teil.

Politische Familientraditionen gelten in Chile als äußerst stabil, gesellschaftlicher Wandel vollzieht sich sehr langsam. Zudem ist das Bedürfnis, zur Normalität zurückzukehren, groß. Dass Chile also überhaupt einen Prozess gegen seinen ehemaligen Peiniger angestrengt hat, ist für Experten wie den chilenischen Menschenrechtsanwalt und UN- Sonderberichterstatter Roberto Garretón ein Riesenfortschritt: „Für mein Land war das Verfahren der Beweis, dass wir ein souveräner Staat sind, dass wir zur Demokratie fähig sind.“

Die Nachricht, dass Diktatoren angreifbar sind, hat erste große Erfolge gezeitigt: Slobodan Milošević, der jugoslawische Expräsident, der sich über ein Jahrzehnt in seiner Heimat unangreifbar wähnte, sitzt nun auf der Anklagebank des UNO-Kriegsverbrechertribunals in Den Haag.

Selbst bei den Furchtlosesten dieser Welt löst das gewisse Ängste aus: Kubas Fidel Castro hat neulich vorsichtshalber schon mal gedroht, seine Antwort laute „Kampf“, sollte „irgendein Richter irgendeines Nato-Staates“ jemals auf die Idee kommen, ihn aufgrund „willkürlicher, extraterritorialer Befugnisse“ festnehmen zu wollen. HH