„Keiner muss Angst haben“

Schuldengeplagt musste der VfB Stuttgart als Abstiegskandidat in die Saison starten. Dank seiner jungen Wilden ist er nun die taz-Mannschaft der Vorrunde. Ein Gespräch mit Trainer Felix Magath

Interview: FRANK KETTERER

Herr Magath, die taz möchte sich bei Ihnen und der Mannschaft entschuldigen.

Felix Magath: Das ist nett, aber das müssen Sie nicht.

Wollen Sie nicht wenigstens wissen, wofür?

Eigentlich nicht. Wenn Sie mal irgendwann einen Fehler gemacht haben, dann ist das nicht weiter tragisch, Fehler machen wir alle.

Wir würden Ihnen den Grund unserer Entschuldigung dennoch gerne mitteilen.

Das habe ich mir schon gedacht. Dann schießen Sie los.

Wir wollen freimütig bekennen, dass auch die taz zu denen gezählt hat, die den VfB Stuttgart schon vor der Saison abgeschrieben haben. „Platz 13 bis 17 sollte möglich sein“, haben wir damals festgestellt. Sind Sie uns jetzt sehr böse?

Warum denn? Das war doch eine völlig korrekte Einschätzung.

Zur Wiedergutmachung würden wir Ihnen dennoch gerne anbieten, dass wir den VfB hiermit zur Mannschaft der Vorrunde erklären. Geht das in Ordnung?

Darüber würde ich mich freuen, gerade weil Ihre Einschätzung zu Saisonbeginn durchaus richtig war. Und dafür haben wir bisher eine sehr gute Saison gespielt und uns sehr gut entwickelt.

Haben Sie mit einer solchen Entwicklung gerechnet?

Nicht in diesem Tempo.

Was hat die Sache so beschleunigt?

Die Gesamtatmosphäre im Verein ist einfach gut. Dass man uns vor der Saison zu den Absteigern gezählt hat, hat Mannschaft, Trainer und Vorstand enger zusammenrücken lassen.

Wie hilfreich war dabei, dass man von Ihrer Mannschaft, außer dem Abstieg vielleicht, nichts erwartet hat?

Auf alle Fälle lastete kein großer Druck auf der Mannschaft. Keiner brauchte Angst zu haben, zu versagen.

Dann war die Armut des VfB wohl ein Segen?

Aufgrund der Tatsache, dass kein Geld da war und wir sogar noch Spieler verkaufen mussten, hat man den VfB doch abgeschrieben.

Wenn der Verein Geld gehabt hätte, würde heute kein Schwein von den jungen Wilden vom Cannstatter Wasn schwärmen.

Ich will nicht ausschließen, dass wir unseren Weg mit all den jungen Spielern nicht in dieser Konsequenz gegangen wären, aber gegangen wären wir ihn auf jeden Fall.

Darf man dennoch behaupten, dass Sie und der VfB durch die finanzielle Situation ein bisschen auch zu ihrem Glück gezwungen wurden?

Das kann man so sagen. Die ganze Situation hat uns gut getan, auch den älteren Spielern. Auch Balakow und Soldo profitieren davon, dass die Jungen frischen Wind reinbringen und sich so schnell und gut entwicklt haben, dass sie sogar das ein oder andere Spiel für uns entscheiden konnten.

Tritt der VfB damit den Beweis an, dass man in der Bundesliga doch auch mit jungen Spielern bestehen kann, sogar mit jungen deutschen?

Wir sind auf dem Weg, das zu beweisen, aber wir haben es noch nicht geschafft. Der Beweis wäre erst wirklich erbracht, wenn wir auch am Saisonende so gut dastehen wie im Moment.

Als Vorbild für die Liga wollen Sie sich also noch nicht feiern lassen?

Nein, das wäre verfrüht. Wir haben uns Kredit erarbeitet und Respekt, mehr aber noch nicht.

Was muss ein Trainer bedenken, wenn er so viele junge Spieler in der Mannschaft hat?

Man muss beachten, dass Fehler vorporgrammiert sind, und darf nicht nervös werden, wenn es zwei, drei, vier Mal nicht klappt, sondern muss die Geduld und auch das Stehvermögen mitbringen, solche Phasen mit dem Spieler zu überstehen.

Wie schlägt sich das im Training nieder?

Gerade die jüngeren Spieler muss man mehr und öfter ansprechen. Vor allem aber darf man ihnen keine Vorwürfe machen, wenn sie mal einen Fehler begehen. Jeder, der eine halbwegs normale Einstellung zu seinem Sport hat, wird aus seinen Fehlern lernen.

Sind die jungen Spieler überhaupt bereit, an ihren Fehlern zu arbeiten, vielleicht sogar mehr als die älteren?

Selbstverständlich, das ist doch ganz normal. Man kann von einem 30-Jährigen, der schon zehn Jahre auf höchstem Niveau gespielt hat, doch nicht erwarten, dass er noch so an sich arbeitet wie ein Junger. Deshalb ist unsere Mannschaft ja auch eine mit Perspektiven.

Was könnte die Entwicklung bremsen?

Es gibt Situationen, eben durch die Wertschätzung des Umfeldes und der Medien, in denen ein junger Spieler schon mal geneigt ist, seine Situation ein bisschen zu optimistisch zu betrachten.

Diesbezüglich gelten Sie als einer, der den Spielern die Flausen rechtzeitig austreibt.

Das ist Teil meiner Arbeit: Solchen Phasen entgegenzuwirken, damit die jungen Leute in der Spur bleiben.

Und nicht zu verschnöselten Jung-Millionären werden.

Natürlich ist diese Gefahr da. Für meine Generation war es durchaus noch ein Anreiz, mit Fußball Geld zu verdienen. Dieser Anreiz fehlt heute zum Teil, weil zu schnell zu viel Geld verdient wird. Letztendlich ist es heute mehr die Aufmerksamkeit, die man einem jungen Spieler entgegenbringt und mit der er nicht umzugehen weiß. Ich kenne diese Situation ganz genau, weil ich als Trainer öfter mal entlassen wurde und dann aus der Öffentlichkeit plötzlich wieder verschwunden bin. Ich weiß, wie groß der Unterschied ist, ob man Bundesligaspieler ist oder ob man nicht Bundesligaspieler ist. Das ist eine ganz andere Welt.

Wo, international gesehen, siedeln Sie den deutschen Fußball-Nachwuchs an?

Ich denke, dass wir bei der Ausbildung ein bisschen mehr tun müssen, da haben wir in den letzten Jahren einen verkehrten Schwerpunkt gesetzt. Seit 1990 heißt es doch nur noch, wir müssten mehr Wert auf Technik und Taktik legen. Ich denke, dass da des Guten zu viel gemacht wurde und wird.

Wie bitte?

Ja, ich glaube nicht, dass es sinnvoll ist, einem 16-Jährigen unbedingt seine Position in der Viererkette aufs Auge zu drücken, sondern dass er besser beraten wäre, wenn er noch in anderen Position zusätzlich spielt, um mehr Verständnis für das gesamte Mannschaftsspiel zu entwickeln. Die Anforderung an die Spieler, sich offensiv wie defensiv richtig verhalten zu können, ist heute viel größer als früher.

Und die Technik? Sie wollen doch nicht ernsthaft behaupten, der deutsche Fußball-Nachwuchs könne zu gut mit dem Ball umgehen?

Nein, das wollte ich nicht sagen. Es geht mir nur darum, dass man meiner Meinung nach zu sehr versucht, dem südeuropäischen oder südamerikanischen Fußball nachzueifern und damit der Art, wie toll die Spieler dort mit dem Ball umgehen. Nur: Das werden wir nie lernen, da können wir Technikübungen machen, wie wir wollen. Es gab immer schon Nationen, die besser und schöner gespielt haben als wir, aber wir waren erfolgreicher. Unsere Stärken lagen in anderen Bereichen.

In den deutschen Tugenden.

Genau. Da haben wir heute Probleme: bei Dingen wie Disziplin und Willensstärke.

Sie haben auf die zu ausgeprägte Taktikschulung hier zu Lande hingewiesen. Andererseits spielen auch beim VfB sämtliche Jugendteams ein 4-4-2-System mit ballorientierter Raumdeckung, wie Sie es in der Bundesliga praktizieren. Hat Ihnen das die Integration der Jungen nicht erleichtert?

Selbstverständlich hat es das. Aber ich bin ja auch ein Trainer, der sich danach richtet, was in einem Verein an Spielern zu Verfügung steht und dann versucht, das beste System dafür zu finden. Deshalb spielen wir mit Viererkette, weil schon die Jugendspieler in diesem System vorbereitet werden. Das hat aber auch den Nachteil, dass sie nur dieses System spielen können.

Wie wichtig sind bei all den jungen Wilden die alten, erfahrenen Kräfte wie Balakow, Soldo oder Todt?

Das sind die Stabilisatoren in unserem Spiel, die in kritischen Situationen die Richtung vorgeben und an denen sich die Jungen orientieren und aufrichten können. Genau das ist eine unserer Stärken: Dass das Verhältnis zwischen Jung und Alt so harmonisch ist und die Jungen von der Erfahrung der Alten profitieren.

Von Balakow zum Beispiel heißt es, dass er sich Alexandr Hleb regelrecht zu seinem Meisterschüler auserkoren hat.

Es ist wunderbar zu sehen, wie die beiden miteinander reden und wie der junge Hleb dem erfahrenen Balakow nacheifert. Ich glaube, dass das der beste und einfachste Weg für die Jungen ist zu lernen.

Der VfB verhandelt gerade mit einem Vermarkter. Wenn der Deal über die Bühne geht, ist auch wieder Geld in der Kasse. Was machen Sie damit?

Wenn es soweit ist, können wir uns darüber noch immer Gedanken machen.

Sie haben im Zuge Ihrer Vertragsverlängerung angekündigt, in zwei Jahren im Uefa-Cup mitmischen zu wollen. Geht das mit der Mannschaft?

Nein. Nur mit diesen Spielern wird das nicht funktionieren. Aber wenn wir den ein oder anderen Mann dazukaufen sollten, den wir auf der ein oder anderen Position brauchen, auch als weiterer Stabilisator, dann bin ich mir sicher, dass wir in zwei Jahren auch internationale Ziele verfolgen können.

Wieviele Junge werden dann noch mitspielen?

Es wird weiterhin auch den ein oder anderen aus unserer Nachwuchsarbeit geben, der in die Bundesligamannschaft eingegliedert wird. Klar ist aber auch, dass es den Schritt für einen Jugendspieler in die Bundesliga erschwert, je besser die Mannschaft ist und je höher sie spielt. Sollten wir in einigen Jahren tatsächlich in Uefa-Cup-Regionen spielen, wäre es für einen Nachwuchsspieler natürlich viel schwieriger in die Mannschaft zu kommen als das vor dieser Saison noch der Fall war.