Israelische Panzer stehen in Ramallah

Die Außenbezirke der palästinensischen Stadt im Westjordanland sind von Soldaten besetzt. Die Bevölkerung lebt seit über einer Woche erneut unter einer Ausgangssperre. Einkäufe sind alle paar Tage für eine Stunde möglich

RAMALLAH taz ■ Im Zentrum der palästinensischen Stadt Ramallah und auf dem Markt schieben sich Autoschlangen und Menschenmengen durch die engen Straßen. Eilends versorgen sich die Palästinenser mit dem Notwendigen für die Feiertage. Das große „Eid al-Fitr“-Fest zum Ende des Fastenmonats Ramadan steht unmittelbar bevor. Doch zum Feiern ist niemandem zumute. Auch die zugerufenen Glückwünsche klingen schal. Die Gesichter der Passanten wirken besorgt nach den Schrecken der letzten Tage.

Was im Zentrum der Stadt in der Westbank wie normales Leben wirkt, ist in den Randbezirken längst zum Erliegen gekommen. Über das Viertel Balua, in der Nisreen Bakri mit ihrer Familie lebt, hat die israelische Armee bereits vor über einer Woche eine Ausgangssperre verhängt. „Die Panzer stehen direkt gegenüber dem Haus. Für die Kinder wird dies zum gewohnten Anblick; doch an die Angst gewöhnt man sich nicht“, sagt Nisreen.

Nachdem die israelische Armee zum zweiten Mal in die nördlichen Außenbezirke der unter palästinensischer Verwaltung stehenden Stadt einrückte, wird die Ausgangssperre streng gehandhabt. Der Weg zur Bir-Zeit-Universität, der durch Balua führt, ist für Studenten und Professoren seither und zum wiederholten Mal in diesem Semester abgeschnitten; auch für Nisreens Mann, der dort Mathematik lehrt. Er schlich sich nach drei Tagen Ausgangssperre aus dem Haus, vorbei an Panzern und Soldaten zu einem Arzt, weil er Zahnschmerzen hatte. „Nisreen hatte Angst, aber die Soldaten haben mich nicht bemerkt“, sagt er mit freundlichem Lächeln. „Alle zwei, drei Tage wird die Ausgangssperre für eine Stunde aufgehoben, damit man ein paar Einkäufe erledigen kann. Beim ersten Mal habe ich vergessen, eine Gasflasche mitzubringen, dann ging uns das Gas aus und damit auch die Öfen.“

Mittwochnacht, als alle schliefen, tauchten als Reaktion auf zwei palästinensische Anschläge aus dem Dunkel die Hubschrauber der israelischen Armee auf. Wenig später explodierte die erste Rakete auf dem Gelände der palästinensischen Rundfunkstation. Die Menschen, aus dem Schlaf gerissen und mit Blick aus den Fenstern, wurde wiederum ohnmächtige Zeugen der Zerstörung. Die Raketen flogen noch, als die Panzer sich vor Nisreens Haus sich in Bewegung setzten und erst ein paar hundert Meter vor Arafats Hauptquartier zum Stehen kamen. Aber auch aus anderen Richtungen rückte die Armee in die Stadt vor. Neben Balua wurden zwei weitere Bezirke besetzt. Durch die Straßen liefen vereinzelte Gestalten – palästinensische Sicherheitskräfte, die rechtzeitig aus möglichen Angriffszielen evakuiert worden waren und nun an Hauserwänden, auf Baustellen und auf freien Feldern Schutz vor der nächtlichen Kälte und den israelischen Angriffen suchten.

„Welche Gegenwehr sollen wir auch leisten können, mit den paar Gewehren, wenn die israelische Armee mit Panzern einrückt und aus der Luft bombardiert?“ Der 20-jährige Palästinenser in kakifarbener Uniform hat keine Illusionen. Nur: Arafat, dem die israelische Regierung die Verantwortung für die nicht abreißen wollenden Anschläge der Hamas und des Dschihad al-Islami auf israelische Zivilisten zuschreibt – würde er diese Nacht überleben? Er überlebte und wurde doch tags darauf von Scharon als „nicht relevant“ bezeichnet, was Ahmad Silwadi beim abendlichen Fastenbrechen kommentiert: „Sie werden Gebiete zurückerobern, aber sie wollen die zivile Administration als Besatzer nicht wieder ausüben müssen.“ Ahmad fühlt sich der linken Opposition der Palästinenser zugehörig und hat oft genug in den vergangenen Monaten seinem Zorn über die „sulta“, die palästinensische Autonomiebehörde, Luft gemacht. Vor einer Woche war er mit tausenden auf den Straßen Ramallahs, um gegen die seiner Meinung nach ungerechtfertigten Verhaftungen und gegen die Ausrufung des Ausnahmezustands durch Arafat zu demonstrieren. Jetzt analysiert er die Lage wie folgt: „Die Israelis stellen sich vor, dass sie Arafat isolieren und eine neue Führung aufstellen können – aber auch darin täuschen sie sich.“

Am nächsten Abend kreisten wieder Hubschrauber und schossen Raketen auf die Polizeistation in al-Bireh. Die dritte Rakete verfehlte das Ziel und schlug in eins der Gebäude der angrenzenden Schule ein. Ein Verwaltungsbüro im Erdgeschoss wurde verwüstet und in den Klassenzimmern fehlen die Fensterscheiben.

„Nicht auszumalen, was passiert wäre, wenn dieser Angriff am Tage erfolgt wäre“, sagt kopfschüttelnd eine Mutter, deren 12-Jähriger am Morgen im eine Prüfung abgelegt hat. In dem ebenfalls besetzten Viertel At-Tireh, in der Soldaten das Haus von Marwan Bargouti, dem populären Fatahführer durchsucht hatten, klopfen am Vorabend des „Eid“ Uniformierte auch bei den Khouris an die Tür. „Wir wollen nachsehen, ob hier alles in Ordnung ist“, vermeldet der israelische Soldat, als die Tür geöffnet wird. „Je weiter ihr euch entfernt, desto mehr ist hier alles in Ordnung“, erwidert George Khouri. Die Soldaten wollen wissen, wo der Hausherr arbeitet, und zeigen besonderes Interesse an einem Fernglas, das im Eingangsbereich der Wohnung liegt. Dann ziehen sie wieder davon, und die Familie denkt darüber nach, ob diese Art „Besuch“ in der nächsten Zeit zur Routine werden könnte. KATRIN MARTENS