Nun wächst zusammen, was zusammenmuss

Warum verstehen sich die potenziellen Koalitionspartner SPD und PDS eigentlich so prächtig? Weil beide in der Realität angekommen sind

BERLIN taz ■ Sechs Männer, sechs Jacketts in Grau oder Schwarz, sechsmal bemüht trockener Humor: Immer wenn das „Herren-Sextett“ (Der Tagesspiegel) wieder in atemberaubendem Tempo Kompromisse gefunden hat, treten die Koalitionsverhandlungsführer von SPD und PDS auch noch wie eine Mauer vor die Öffentlichkeit. Und wenn es inhaltlich wenig zu vermelden gibt, wie am Sonntag (siehe Kasten), dann präsentiert sich Rot-Rot in Berlin zumindest einig im Stil. Strittige Olympiabewerbung, ungeliebter Flughafenbau, schwierige Fusion mit Brandenburg: Für jahrelang umstrittene Themen werden in wenigen Stunden Lösungen gefunden. Den Journalisten, die das klägliche Scheitern der zerstrittenen Ampel aus der Nähe erlebten, kommt die tägliche Einigkeitsperformance von SPD und PDS beinahe unheimlich vor.

Was ist da los? Gängigste Erklärung: Da haben sich endlich zwei gefunden, die schon lange miteinander konnten. Zwischen den Spitzenpolitikern funktioniert die rot-rote Kommunikation nicht nur auf Pressekonferenzen. Klaus Wowereit hat in den vergangenen Jahren gemeinsam mit Harald Wolf, dem Fraktionschef der PDS, im Hauptausschuss des Abgeordnetenhauses vorgerechnet, dass die große Koalition die Finanzlage über jedes Maß hinaus schönte. Auch die Programme der Berliner Landesverbände sind ähnlich oder stimmen gar überein. Beide wollen am seltsamen Berliner Modell der sechsjährigen Grundschule festhalten, die Wohnungsbaugesellschaften möchte die PDS in staatlicher Obhut behalten und spricht damit den Sozialdemokraten zwar nicht aus dem Programm, aber aus der Seele. Mehr Geld für Problemstadtteile ausgeben, heißt bei den Sozialdemokraten „soziale Stadtentwicklung“, bei den Sozialisten „soziale Stadterneuerung“.

An der Basis (SPD: 17.000 West zu 3.000 Ost, PDS: 480 West zu 13.800 Ost) spricht man sozialisationsbedingt noch lange nicht die gleiche Sprache, kann sich mittlerweise jedoch miteinander anfreunden. Stärker als vor den versprengten Sozialdemokraten in Hohenschönhausen oder Marzahn ekeln sich die PDS-Hardliner in den Plattenbautenvierteln heute vor den eigenen Parteireformern, die Demutsgesten in Sachen Mauerbau und Zwangsvereinigung vollführen. Die Ostsozialdemokraten wiederum loben die Entschuldigungen der PDS und schimpfen auf die eigene Parteiführung, die Ostler beim Postenverteilen systematisch ignoriert.

Das sozialdemokratische Verhältnis zur PDS wandelt sich in Windeseile: Innerhalb von nur eineinhalb Jahren vom schlimmen Tabu zum Koalitionspartner: Schon prophezeien langjährige Beobachter, die PDS werde zur „ostdeutschen Variante der Sozialdemokratie“.

Warum können SPD und PDS in Berlin plötzlich so gut miteinander? Gregor Gysis pauschale Erklärung, man habe eben „gemeinsame Traditionen“, was jeder schon an „Flaggen, Liedern und Symbolen“ der Arbeiterparteien sehen könne, ist irreführend. Gerade in Berlin – der Stadt der Teilung – gibt es höchstens eine Tradition der wechselseitigen Verachtung. Nirgendwo lebten so viele überzeugte oder korrumpierte Systemträger der DDR wie in Ostberlin, während die SPD im Westteil der Stadt lange erste Adresse in Sachen Antikommunismus war.

Die Einigkeit erklärt sich nur aus der Gegenwart: Den Sozialdemokraten war das Regieren als Juniorpartner der CDU schlicht unerträglich geworden, nach elf Jahren, in denen die SPD so lange verlor, bis man 1999 bei 22,2 Prozent war und als schlimmster aller Landesverbände galt.

„Ohne CDU“, heißt in Berlin aber „mit PDS“. Diese Realität anerkannt zu haben, ist die eigentliche Leistung von Wowereit. Rot-Rot war auch für linke Sozialdemokraten nie ein Projekt wie weiland Rot-Grün, sondern schlicht eine Erweiterung des Handlungsspielraums. „Optionen haben“, wie Wowereit formuliert. Und die PDSler? Seit der friedlichen Revolution hat ihre damals totgesagte Partei bei jeder Wahl zugelegt. Aber die Genossen sind der Siege müde, die keine Macht bringen. Die Senatsbeteiligung streben sie mit aller Macht an. Nicht, weil sie wie einige Berliner Grüne sonst die letzte biografische Chance auf ein Staatsamt schwinden sehen. Der PDS-Landeschef Stefan Liebich ist 27, Fraktionschef Wolf möchte lieber Parlamentarier bleiben, und Gysis Unlust am Senatsamt ist bekannt. Die sozialistische Motivation, mitregieren zu wollen, ist weniger persönlich als politisch. Ziel ist allerdings weniger die Reform Berlins als die Veränderung der eigenen Partei.

Durch Regierungsbeteiligungen wachse der Druck auf die Basis, sich Realitäten anzupassen. „Geradezu entschuldigend“, berichtet ein sozialdemokratische Teilnehmer aus den Sondierungsgespächen, habe die PDS erklärt, „Afghanistan schlucken unsere Leute noch nicht“.

ROBIN ALEXANDER