Auswanderer als Edutainer

■ Die Präsentation der „Erlebniswelt Auswanderung“ in Bremerhaven kostet 40 Millionen Mark

Eine Zeitenwende im maritimen Tourismus soll die „Erlebniswelt Auswanderung“ in Bremerhaven werden, für die die Planung nach zahlreichen Anläufen in die Endphase eingetreten ist. Anfang nächsten Jahres werden der Magistrat Bremerhaven, der Senat Bremen und die Wirtschaftsförderungsausschüsse über das vorliegende Konzept entscheiden.

40 Millionen Mark ist dem Land Bremen die neue Touristenattraktion wert, die insbesondere amerikanische Gäste anziehen soll. Davon 15,3 Millionen Mark sind für den von Designerbüro „Studio Andreas Heller“ in Hamburg konzipierten Bau veranschlagt worden, der an der Westseite des Neuen Hafens an die Auswanderungswelle erinnern soll. Im April 2004 hofft man, die „Erlebniswelt Auswanderung“ eröffnen zu können. Für zehn Jahre wird die Consultingfirma Wenzel das unternehmerische Risiko des Betriebes tragen, die bereits als Gutachter Erfahrungen auf dem Gebiet der Freizeiteventkultur gesammelt hat.

Ganz im Zeichen des derzeit so angesagten „Edutainments“, der unterhaltsam aufbereiteten Wissensvermittlung, soll die Geschichte Bremerhavens als bedeutendster Auswanderungshafen vorgestellt werden, verspricht Oliver Kipp von Wenzel Consulting AG .

Über sieben Millionen Menschen machten sich von Bremerhaven im 19. bis in die frühen 30er Jahre des 20. Jahrhundert in die Neue Welt auf, viele durch Armut und auch politische Verfolgung gezwungen. Die Geschichte der Auswanderung der Nazi-Zeit wird aber nicht besonders thematisiert.

In fünf Stationen soll das komplexe Thema emotional und sinnlich veranschaulicht werden: Tagebucheinträge, historische Quellen, aber auch interaktive Elemente und Multimedia-Präsentationen sind vorgesehen, um den erwarteten 200.000 Besuchern pro Jahr das persönliche Schicksal der Auswanderer nahe zu bringen.

Wilfried Moritz, Sprecher von Bremerhavens Bürgermeister Jörg Schulz, weist den Vorwurf, hier werde nur populäre Geschichte im Light-Format präsentiert, zurück. Ein Disneyland an der Nordseeküste solle es nicht werden, stattdessen wolle man die „Erlebniswelt“ ernsthaft behandeln und gleichzeitig Emotionen wecken.

Auch die Grünen begrüßen das neue Auswanderermuseum. Der langjährige Streit um die möglichen Formen einer Repräsentation scheint nun also beigelegt.

Vergessen sind die Querelen mit der „Arbeitsgemeinschaft Migrationsgeschichte“ wohl nicht, deren Sprecher, der Event-Manager Dirk Lembeck, wirft den Verantwortlichen noch immer vor, sich auf seine Ausstellung „Aufbruch in die Fremde“ zu stützen. Pikant erscheint Lembeck vor allem die Tatsache, dass die „Erlebniswelt Auswanderung“ allein mit Landesmitteln finanziert werden soll, ohne dass dabei die spezifischen Aspekte der Stadt Bremen besonders berücksichtigt würden. So fehle sowohl die Verbesserung der Bedingungen der Überfahrt, die von den bremischen Kaufmannsleuten initiiert wurde, als auch der aktuelle Bezug des Themas.

Ein wesentlicher Kritikpunkt ist auch die Datenbank, die das Historische Museum in Bremerhaven vom Center for Immigration Re- search in Philadelphia geschenkt bekam und die in der „Erlebniswelt Auswanderung“, den Besuchern für persönliche Nachforschungen zur Verfügung steht.

Prof. Dr. Antonius Holtmann von der „Forschungsstelle Niedersächsische Auswanderer in den USA“ an der Oldenburger Universität unterstützt diese Vorwürfe: Die Datenbank weise erhebliche Lücken auf, die nicht allein auf Abschreibfehler zurückzuführen seien. Vielmehr wurden einzelne Schiffe nicht aufgenommen, Schweizer und Franzosen als Deutsche bezeichnet, andere Nationen hingegen gar nicht berücksichtigt. Auch weisen die Listen den kuriosen Effekt der Wiederbelebung auf, denn zahlreiche Verstorbene wurden in Amerika dann als Einwanderer registriert. (Links des Instituts unter www.dania.de) Dies sind keinesfalls Details, sondern lassen das Projekt als Mogelpackung einer Event-orientierten Freizeitkultur erscheinen. Die Bremerhavener „Erlebniswelt Auswanderung laufe Gefahr, so der Historiker Holtmann, wissenschaftlichen Ansprüchen nicht zu genügen und zum „Abenteuerspielplatz“ zu werden.

Annette Hoffmann