village voice
Neue CD-Sampler mit elektronischer Kaffeehausmusik
: Der Sound des Latte Macchiato

Neulich im Cafe. „Geiler Sound, was is’n das?“ „Na ja, so Downbeat. Oder willstest genauer wissen?“ „Ja, sag mal.“ „JazzSoulBrazilFunkAfroReggaeHipHopHouse . . . Fusion“.

Gemütlichkeit hat einen langen Namen. Aus dem eklektischen Beschallungsmischmasch der Groove-Gegenwart die einzelnen Elemente herauszulesen, macht aber weder Spaß noch Sinn.

Halten wir uns doch lieber an Milchkaffee, der ist nicht nur warm, da ist auch alles drin: der Groove von Brasilien, der Beat von Afrika, der Soul von Kuba, gefühlig eingegossen in den Schaum europäischer Wiederkäuer. Die urbane Kaffehauskultur hat neue Worte und diese Worte stehen für Musik. Es ist der Sound vom Latte Macchiato.

Mit diesem Bild ist auch ein Zentrum viel schneller ausgemacht: Die Spur weist nach Seattle, von wo aus schon einmal popkulturelle Impulse um die Welt gingen. Bei den Nachfolgern von Nirvana handelt es sich jedoch nicht um eine Band, sondern das erfolgreiche Franchise-Unternehmen Starbucks, welches mit gedämpften Licht, tiefen Sitzmöbeln und gedeckten Brauntönen „Look“ und „Feel“ tausender urbaner Chill-out-Zonen normiert hat.

Hier, wo die Essenz der multikulturellen Gesellschaft in Gläsern und Schalen gereicht wird, ist Gefälligkeit das oberste Gebot. Das gilt auch für das Audiodesign – abgerundet und geschmackssicher, bessere Bohnen gleich bessere Samples.

Das kleine Logo auf „Berlin Lounge“, dieser neuen Sammlung beliebt-beliebiger Macchiato-Klänge, zumindest lässt bezüglich dieser Praxis von Auflösung und Aneignung kaum einen anderen Schluss zu.

„Only German Sound“ steht da, darunter der Fernsehturm am Alex. Dabei stimmt bei diesem Compilation-Konzept, welches zurzeit die Euro-Metropolen durchdekliniert, noch nicht einmal der Berlin-Bezug. Gerade mal die omnipräsenten Jazza- und Terranovas haben ihren Sitz in dieser Stadt, alle anderen 30 Projekte sind quer über die Republik verteilt.

Genauso konstruiert erscheint die konzeptuelle Unterteilung der Musik in eine Tages- und eine Nacht-CD: Tageszeiten spielen im Cafe-Club längst keine Rolle mehr.

Die Tempel des Homo Lounge sind durchgehend geöffnet, abends werden sie zur Bar. „Berlin by Day“ und „Berlin by Night“ unterscheidet nur ein paar Prozent mehr Beatfrequenz und Alkohol, der Flair bleibt dabei so international-exotisch wie die Getränke: Mojito, Caipirinha und Cuba Libre.

Etwas mehr vom alten Berlin finden wir in „Fragments“, wo uns die kühle Elektronik von Kreidler, A Certain Frank, Plaid und Red Snapper empfängt. Das Cover, ein in submarinem Neonlicht schimmernder OP, gemahnt an den gekachelten Wave der 80er und ist das Werk des ortsansässigen Martin Grether, die beinhaltete Musik wurde zusammengestellt und teilweise selbst gespielt von ME Raabenstein, beides Interface-Designer: der eine Bild, der andere Audio. „Fragments“, ein ästhetisch verpackter Mix aus Lieblingsliedern und eigenen Stücken ist der Startschuss ihres gemeinsamen Labels und führt die Nacht wieder in den Tag: nach den synthetischen Träumen der europäischen Programmierer-Avantgarde fließt Kaffee in die Maschinen und eine Hand voll Berliner Projekte bringt mit verstärktem Latin und Brasil die Sehnsucht der Stadt zurück. Auch hier heißt Wärme Macchiato.

HOLGER IN‘T VELD

V. A.: „Berlin Lounge“ (Wagram/PP Sales); V. A.: „Fragments“ (No Nine/PP Sales)