Flammende Redenschwinger

Die X-mas Jam versammelt Hamburgs HipHopper in der Markthalle  ■ Von Eberhard Spohd

„Kalender, Kalender, du bist ja schon so dünn, dann ist es bis Weihnachten nicht mehr lange hin.“ Ein guter Reim? Klar, schließlich ist es ja einer der Klassiker bei den alljährlichen Pre-X-Mas-Rhyme-Battles rund um den Adventskranz. Er verliert jedoch seinen Flow am Heiligen Abend oder allerspätes-tens am Festtag des Heiligen Stephanus, dem flammenden Redner und Erzmärtyrer. Denn dann treten, so traditionell wie Sodbrennen am Heiligen Abend, ein bis zwei Hände voll Hamburger HipHop-Gruppierungen in der Markthalle auf, um das Jahr noch einmal Revue passieren zu lassen.

Was also war in diesem Jahr? (Klasse Reim, beiseite gesprochen) Die Rapper der Hansestadt veröffentlichen eine Platte nach der nächsten. Digger Dance bringen ihre erste EP heraus, auf der Rapper B-Low beweist, dass er den breites-ten Hanseatenslang von allen hat. Außerdem tritt das Duo mit einer Hommage an den Wiener bei der Freddy-Quinn-Gala im Fernsehen auf. Obwohl der strikt konservative bis reaktionäre Schnulzensänger nun überhaupt nicht zu HipHop passt und seine Fernwehromantik mehr mit Landsertum als mit Migrationsproblematik zu tun hat. Man erinnere sich nur einmal an Reime wie „Wer hat sogar so ähnliche Maschen, auch lange Haare, nur sind sie gewaschen?“

Samy Deluxe veröffentlicht seine Platte und wird vom Fachblatt Juice prompt des Sellouts bezichtigt. Der schnelle Redner revanchiert sich auf seine Weise: Er schickt per Maxi-Single einige gepflegte Beleidigungen in Richtung der Münchner Crew. Das Cover dieses Tonträgers ist das schönste des Jahres: Samy Deluxe, vor Villa und Straßenkreuzer mit Champagner und blinkendem Goldzahn posierend. Endlich sind wir da angekommen, wo es wichtig wird: beim Geld.

Das verdienen allerdings immer noch die wenigsten in diesem Geschäft. Zum Beispiel nicht Produzent und Outro-Sprecher Sleepwalker, der auf seiner All-Star-Platte zum „Vorsprechtermin“ bat. Zum Beispiel nicht Paolo 77, der gerade sein erstes Tape und die erste Maxi bei Eimsbush veröffentlichte. Zum Beispiel nicht die Moqui Marbles mit ihrer ersten EP. Und auch all die anderen nicht, die auf Trainingslager, Chinchilla oder wie die jungen Labels alle heißen, erste Schritte in Richtung Big Business (und damit natürlich auch in Richtung Sellout-Vorwurf) machen. Schon ein wenig mehr Nico Suave, der seinem DJ Sparc ein grooviges Debütalbum herausbrachte und damit auch seinem neu gegründeten Label Octopussy zum ersten Erfolg verhalf.

Überraschend wenig verkauft wurde auch Denyo 77s Minidisco. Da machte es sein Absolute Beginner-Kollege Jan Eißfeldt doch gleich besser. Er sattelte unter seinem Pseudonym Jan Delay irgendwie, irgendwo, irgendwann auf deepen Reggae um und freut sich über den gelungenen Coup wahrscheinlich immer noch den Arsch ab. Searching For The Jan Soul Rebels, sein dazu gehöriges Album, wurde von Kritik wie wahren Zuhörern gleichermaßen bejubelt, mit „Söhne Stammheims“ gelang ihm auch gleich noch das missverstandenste Stück der Saison und zeigte noch einmal exemplarisch, dass die Beißreflexe gegen sowohl die RAF als auch Xavier Naidoo durchaus noch bestens funktionieren. Und irgendwann veröffentlichten Eins, Zwo ihre zweite Doppel-LP, und das Hörerglück kannte zum Jahresende hin keine Grenzen mehr.

Und was hat das alles mit Weihnachten zu tun? Zunächst wird die eine oder andere der genannten Platten des Jahres unter den Weihnachtsbäumen liegen, zum anderen tritt der eine oder andere der genannten Künstler am zweiten Weihnachtsfeiertag in der Markthalle auf. Unter dem Motto „George W. Eims-Bushs Weihnachts-Fire“ stehen Jungspund Twisted, Paolo 77 alias Paolo di Caprio, Digger Dance, Moqui Marbles und die Sam Ragga Band auf der Bühne. Letztere unterstützt den ehemaligen Ferris MC-Kollegen Immo und – wie könnte es anders sein – den lieben Jan Delay selbst. Ein Line-up, das sich durch erfahrungsgemäß zahlreich anwesende Freunde durchaus noch erweitern dürfte. Also werden auch wieder flammende Reden gehalten.

Mittwoch, 26.12., 21 Uhr, Markthalle