Lehrjahre des Herzens

Selbstsuche auf den Faroer Inseln: Katrin Ottarsdóttirs Bye Bye Bluebird  ■ Von Stefanie Maeck

Die Hölle, das sind immer die andern, denken die Insulaner, denken auch Rannva und Barba. Dem Engen entweichen, das Fremde suchen, deswegen zogen die Mädchen vor Jahren von den Faroer Inseln in die Metropolen: Paris, London, Mailand. Als sie zurückkehren, sehen sie das Fremde auch im Provinziellen. Mit grellen Plateausohlen, Federn und Plüsch stapfen sie über frische Weiden. Wie Fremdkörper, inszenierte Modephotographien. – „Clowns“, reagieren die Familien empört, die Mädchen antworten flapsig.

Der arbeitslose Fischer Runi nimmt die beiden in seinem blauen Ford mit auf eine Reise über die Insel. Grau, rau und still die Natur – bunt, schrill und selbstgerecht die Mädchen. Hybris verhindert zunächst einen Blick für den schweigsamen anderen, der nach jedem Stop neue Spuren eines Kampfes trägt. Viel zu sehr kreisen die Mädchen um ihre gezüchtete Exotik. Sie knipsen Polaroids, kichern, trinken, flirten. Doch manchmal, beim Abschminken von Kajal und Lippenstift, sieht man ein verletzliches Gesicht. Irritation über die eigene Fremdheit – zur Familie, zur Freundin. Bye Bye Bluebird inszeniert Heimatlosigkeit im Gewand urbaner Flexibilität und vermeintlicher Weltkenntnis.

Und doch ist es für Rannva und Barba gerade der Blick der verhass-ten anderen, von dem ihre labile Ich-Erfindung täglich von neuem ihre Bestätigung ersehnt. Zugleich sind sich die beiden in der gemeinsamen Ablehnung der anderen stets einig. Doch auch ihr Verhältnis trägt Züge von Konkurrenz und Abgrenzungsgefühlen, die der Film mit einigen sehr subtilen Strichen entwirft und nur im „Augenblick“ andeutet.

Katrin Ottarsdóttir bezieht aus der Darstellung extrem verschiedener Pole in ihrem Film Bye Bye Bluebird eine formale Spannung und einen ästhetischen Gewinn: Fetischisierend umstreicht die Kamera die raschelnden und beweglichen Oberflächen von Plüsch, Gaze, Taft und Glittertand, bestaunt die Agilität der ausstaffierten Körper, gefriert sie damit zum zeitenthobenen Kunstobjekt, zur Plastik oder reglosen Statue, ein. Auf der anderen Seite stehen weite, ruhige Totalen, zeigen die stille Schönheit der Landschaft, die markanten Gesichter der alten Insulaner und die Kargheit ihrer kleinen Hütten.

Verbindendes und übergreifendes Prinzip dieser beiden Pole sind die Impressionen einer Autofahrt, die Bewegung und Kontemplation formal zusammenlaufen lassen, Natur und Artifizialität gleichzeitig ausstellen und dafür avancierte Stilmittel verwenden. Bilder aus einem Niemandsland – der ideale Rahmen für Katrin Ottarsdóttir, um ein moralisches Lehrstück zu drehen und dabei leider an Subtilität zu verlieren...

Die sorgfältig ausgestellten Zeichen des eigenen Andersseins finden die Mädchen auf ihrem Weg über die kleine Insel im Dekor der verschlafenen Provinz in umgekehrter Absicht wieder: religiöse Insignien in den Hotels, schreiend bunte Siebzigerjahretapeten, rauchige Songs in der Kneipe. Avantgarde und Nachhut treffen so aufeinander. Sich abheben ist nicht immer eine Sache des Äußeren. Das ist die Lektion, die sich mit den individuellen Entwicklungsgeschichten in Bye Bye Bluebird glücklich überkreuzt.

Katrin Ottarsdóttir entwickelt ihre Toleranzparabel im Stile eines modernen Entwicklungsromans. Die Natur wird dabei, ganz gemäß romantischer Tradition, als darstellendes Prinzip genutzt. Um das Voranschreiten der Heldinnen zu dokumentieren, bemüht die Regisseurin jedoch eine überaus abgegriffene, rousseauistische Natürlichkeitsmetaphorik: Schicht um Schicht Schminke blättert ab, der Blick für die Natur wird schärfer, die Landschaft zu guter Letzt wärmer. Der Plateauschuh schwimmt schließlich im Fluss und die nackten Füße laufen durchs Gras.

Am Ende steht die Läuterung, die Generationen übergreifende Versöhnung. Das Flugzeug in die große Welt wartet, doch Barba entscheidet sich zu bleiben. Stolpernd läuft sie vom Rollfeld auf die alte Mutter zu. Ein schöner Moment. Schade, dass er wie vieles in Katrin Ottarsdóttirs Film durch die schrille Überdrehtheit seiner Figuren, Plakativität und überdeutlichen Kommentar zerstört wird. Die Kamera nimmt ein letztes Mal die Plüsch-Garderobe der winkenden Freundin in den Blick. Ein schrilles Lachen von der Gangway – und das Flugzeug wird die kleine Landebahn der Insel verlassen, um mit den Möwen abzuheben. Statt im Entwicklungsroman ist man im gefühlvollen Erziehungsgenre gelandet. Die Hölle, das sind erzogene und überzüchtete Gefühle.

täglich bis 2.1. (außer 24. + 31.12.), 20.30 Uhr, 3001