Trendbewusst den Plan erfüllen

In ihrer Filmrecherche „Träume nicht, Sibylle“ zeichnet Julie Schrader die Karriere der DDR-Modezeitschrift nach

Nach der Wende hielt die Werbewirtschaft auf Abstand. Und das bedeutete in der Konsequenz das Ende. Allerdings kann man die Zurückhaltung der Agenturen verstehen, wenn man Julie Schraders filmische Recherche in Sachen Sibylle gesehen hat. Wenn die Mehrzahl der Leserinnen so dachte wie die von Schrader interviewte junge Studentin im Rheinland, dann wäre jede Anzeige vergebene Liebesmüh gewesen. Ihr gefiel die „Zeitschrift für Mode und Kultur“ so gut, dass sie abonnierte: Weil es hier zwar um Mode und Schönheit ging, aber eben „nicht so oberflächlich“ wie in anderen Frauenzeitschriften. Nun übersieht aber, wer anderswo nur Oberflächlichkeit am Werk weiß, leicht die Zeichen der Zeit. Tatsächlich waren Mode und Schönheit in den 90er-Jahren längst eine todernste Angelegenheit. Das ist der Mode nicht unbedingt zum Nutzen gewesen. Aber wenigstens war sie dafür weit entfernt von dem fürchterlich kunstgewerblichen Geschmack, der die Sibylle und ihre Leserinnen zuletzt auszeichnete.

Es gab Zeiten, in denen die Sibylle so aussah, als hätte sie etwas mit der Zeit und dem Land zu tun, in dem sie gemacht wurde. Allerdings nicht zu Beginn und auch nicht am Ende. Als sie 1956 gegründet wurde, war sie in einem extrem biederen Sinne fashionable und stellte Cocktail-Kleider in Pariser Machart vor, während die Frauen in der DDR Mühe hatten, überhaupt etwas Kleidsames zu finden. Am Ende driftete sie in geschmäcklerische Vollendung ab. Jedenfalls, was die Bildstrecken angeht, die der Film zeigt. Doch diese Entzauberung ist von Julie Schrader nicht beabsichtigt.

Ihr scheinen die letzten Hefte zu gefallen, als die Zeitschrift wieder „zu einer eigenen Linie“ gefunden hatte, wie einer der vier Redakteurinnen sagt, die die Sibylle dem Gong-Verlag wieder abgekauft hatten. Das Missverständnis mag daran liegen, dass der Film im Ganzen etwas unfokusiert ist und seine Funde nicht in den rechten Kontext zu stellen weiß.

Glücklicherweise aber musste sich die junge Filmerin in ihrer dokumentarischen Filmrecherche, die zugleich ihre Magisterarbeit im Bereich Kulturwissenschaft an der Humboldt-Universität ist, auf die Zeit zwischen 1962 und den 80er-Jahren konzentrieren. Das waren die Jahre, die die Legende der Sibylle rechtfertigen. In den Interviews, die Schrader mit den Fotografen Günter Rössler und Ute Mahler, der Moderedakteurin Dorothea Melis, der Kulturredakteurin Erika Büttner und der Chefredakteurin Yvonne Freyer führte, wird deutlich, dass eine Menge Standvermögen, Einfallsreichtum und Hartnäckigkeit dazu gehörten, das frische, unprätentiöse Gesicht der Sibylle zu kreieren.

Melis wurde die Moderedaktion erstaunlicherweise übertragen, nachdem sie die Sibylle bei ihrem Abschluss an der Kunsthochschule Weissensee heftig kritisiert hatte. Da war die Sibylle noch das Damenblatt mit heftigem 50er-Jahre-Touch. Mit Melis und den Fotografen Arno Fischer, Roger Melis und Günter Rössler fand der Aufbruch in einen wenigstens zeitgeistpunktierten Alltag statt, der in der Arbeit der Fotografinnen Ute Mahler und Sibylle Bergmann seine Sophistication und den Feinschliff bekam.

Das größte und erstaunlichste Kapital, das sich die Sibylle bis zum Schluss bewahrte, so sieht man es im Film, sind ihre extrem gut aussehenden, dabei außerordentlich eigenwilligen Models. Die internationale Modeindustrie dagegen grast die ganze Welt ab, um möglichst austauschbare, stereotype Models zu finden. In der kleinen DDR, wo es so viele schöne Mädchen gab, wäre sie nicht fündig geworden.

BRIGITTE WERNEBURG

„Träume nicht, Sibylle“, Buch und Regie: Julie Schrader, 2001, 57 Min.