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Eine Theorie über Hobbits, Zugereiste und Weihnachten
: Das Fest der Familie und nicht Berlins

Erst hatten wir das Sommerloch und dann die 80er-Jahre und nun ist 2001 schon wieder vorüber. Nur Weihnachten steht noch vor der Tür. Wie man weiß, ist Weihnachten das Fest der Familie. Und weil Weihnachten das Fest der Familie ist, fahren alle, die man kennt, dorthin, wo ihre Familien wohnen. Meistens wohnen die Familien nicht in Berlin. Gemeinhin ist Berlin in diesen Tagen, hinsichtlich der Leute, die man kennt, relativ leer. Weil Weihnachten das Fest der Familie ist, kann es logischerweise also auch nicht das Fest Berlins sein, jedenfalls nicht des Berlins, das man kennt.

Das heißt, dass Berlin zu Weihnachten ein anderes Berlin ist, ein Berlin, in dem all die zugereisten, modernen jungen Leute fehlen. Berlin ähnelt an den entscheidenden Tagen einem verlassenen Spielplatz und die zugereisten, modernen jungen Leute werden zu wieder zu Töchtern und Söhnen, die sie einmal waren. Damit kommt an Weihnachten das Kleinbürgertum hier wie dort wieder an die Macht, man sollte das auf keinen Fall unterschätzen.

Es kann aus diesem Grunde kein Zufall sein, das „Der Herr der Ringe“ ausgerechnet zu Weihnachten in die Kinos kommt. Denn „Der Herr der Ringe“ ist auch ein Film über die Macht des Kleinbürgertums. Der jugendliche Held, ein Hobbit namens Frodo Beutlin, ist ein Kleinbürger par excellence. Um das in angemessen künstlerischer Weise auszudrücken, sind Hobbits recht klein, um nicht zu sagen verwachsen von Statur und ausgesprochen bürgerlich im Geist, bequem und durch und durch süchtig nach Gemütlichkeit.

Um ihre Bodenständigkeit deutlich zu machen, haben sie große, haarige Füße, an denen sie keine Schuhe tragen, was zweifelsfrei als Zeichen für ihre Heimatverbundenheit zu verstehen ist. Sie leben in gemütlichen, um nicht zu sagen, urigen Einfamilienhäusern, die von Vorgärten und Zäunen eingefasst sind. Sie schätzen schlichte Freuden wie deftiges Essen und haben auch gegen einen Schoppen Wein oder ein Glas Bier nichts einzuwenden. Ihrer Kleidung nach zu urteilen, leben sie vom haupsächlich vom Handwerk, aber wahrscheinlich auch von Ackerbau und Viehzucht.

Als Tolkien sich die Hobbits ausdachte, muss er wohl an die Schwaben gedacht haben. Auch von den zugereisten, modernen jungen Schwaben in Berlin weiß man, dass sie – zwanghaft wie ein Schwarm Fluggänse im Spätsommer der Stadt – der Stadt zur Weihnachtszeit Richtung Heimat fliehen, was die Hobbit-Kleinbürger-und-Weihnacht-Theorie so gesehen einwandfrei bestätigt, auch wenn daraus, außer der Feststellung, dass irgendwie in jedem eine wenigstens klitzekleine, temporäre, saisonal bedingte Hobbithaftigkeit steckt, nicht allzu viel folgt.

Andererseits hat man auch von Leuten gehört, denen die bewusste Verinnerlichung des Tolkienschen Gesamtwerks nicht nur zur Weihnachtszeit zu sehr zu Kopf steigt. Gemeint sind jene Leute, die mit Schwertern, Filzhüten, Bärten und anderem Gerät durchs Unterholz huschen, um es dem Ring-Personal gleichzutun; jene, die derart angetan, auch Lichtspielhäuser ansteuern, um durch ihre auffällige Kostümierung ihr Steckenpferd nicht zu verbergen; jene, die kurzum keine Kosten und Mühen scheuen, um sich ein für allemal vor der Weltöffentlichkeit lächerlich zu machen.

Ein Privileg, das zur Weihnachtszeit eigentlich nur dem Weihnachtsmann vorbehalten ist. Hobbits hätten für derartige Verhaltensweisen mit Sicherheit kein Verständnis. Zugereiste, moderne junge Menschen hoffentlich auch nicht.

HARALD PETERS