Muffe vor dem Fest

■ Weihnachten ohne Dach über dem Kopf / Ein Bericht

„Für mich ist Weihnachten ganz übel“, sagt Monika, die täglich in die Bahnhofsmission kommt. „Ich weiß noch gar nicht, was ich da mache.“

Monika ist 28 Jahre alt und seit zehn Jahren obdachlos. Aus ihrer alljährlichen Muffe vor dem Fest der Liebe und der Familie macht sie keinen Hehl. „Manchmal gehe ich einfach mit einem Mann mit – ich habe ja auch ständig Hunger“, sagt die magere junge Frau.

Die Männer, die an den funkelnagelneuen Tischen im Aufenthaltsraum der Bahnhofsmission sitzen, geben sich robuster: „Angst vor Weihnachten? Nein, das werden für mich ganz normale Tage sein“, sagt Jürgen, 46 Jahre alt und seit einem halben Jahr ohne Dach über dem Kopf. Ein normaler Tag heißt für den ehemaligen Preiskalkulator, der plötzlich seine Stelle verlor, dass er vormittags sein Hab und Gut in einem Schließfach unterbringt und dann durch die Stadt streift. Dass er obdachlos ist, sieht man ihm nicht an. Seine Kleidung ist gepflegt, der Schal sorgsam auf der Brust gekreuzt. Auf ein ordentliches Äußeres legt er Wert und wäscht seine Kleidung in der Waller Obdachloseneinrichtung „Tasse“. Dort gibt es auch Duschen. Andere Männer werfen ein, dass sie vielleicht zu einer der Weihnachtsfeiern gehen, die die Stephani-Gemeinde, die „Tasse“ oder der CVJM in der Birkenstraße anbieten. Genau weiß es keiner. „Wir entscheiden spontan und planen wenig im Voraus“, sagt Hubert, der seit fünf Jahren draußen schläft und immer mit einem Gepäckwagen voller Taschen und Bündel unterwegs ist.

„In der Bahnhofsmission wird es keine Weihnachtsfeier geben“, sagt Renate Hansen, stellvertretende Leiterin der Mission: „Wir haben zwar einige Spenden bekommen, die wir verpacken und Weihnachten als Geschenke an Gäste weitergeben, aber ansonsten wird hier keine besondere Feierlichkeit stattfinden.“ Zivi Marko ergänzt: „Es gibt wie immer Tee und Kaffee und vielleicht ein paar Kekse mehr als sonst. Wir haben an Weihnachten auch keine besonderen Öffnungszeiten.“

Obwohl die Zahl der Obdachlosen im Land Bremen steigt, ist die Zahl der BesucherInnen der Bahnhofsmission inzwischen von täglich gut 120 auf rund 70 zurückgegangen. Das liegt daran, dass seit Mitte November keine warmen Mahlzeiten mehr ausgegeben werden. Vor allem sind es Männer, die auf eine Tasse Kaffee vorbeikommen. Ab und zu verschwindet einer für fünf Minuten, um draußen ein Döschen Bier zu zischen oder eine Zigarette zu rauchen, denn Alkohol und Zigaretten sind in den Räumen der Bahnhofsmission tabu.

Die Bahnhofsmission wird von der Caritas und der Inneren Mission getragen. Die neuen Räume im Bahnhof nutzt sie mietfrei; für Strom und Wasser zahlt die Bahn. „Alle weiteren Ausgaben bestreiten wir von Spenden“, so Renate Hansen. Seit elf Jahren arbeitet sie für die Bahnhofsmission. „Seit drei Jahren bin ich fest angestellt – davor habe ich ehrenamtlich gearbeitet. Augenblicklich arbeiten wir mit 20 Ehrenamtlichen, aber wir können noch mehr Unterstützung gebrauchen. Wir suchen auch immer Zivis.“

Das große Team ist nötig, denn schließlich kümmert sich die Bahnhofsmission auch um verwirrte Reisende und hilft alten Damen beim Umsteigen. Und sie hieße nicht „Mission“, wenn sie sich nicht auch ein wenig in Missionsarbeit versuchen würde: Einmal pro Woche wird eine Kurzandacht angeboten und es gibt einen mit Bibeln bestückten und mild beleuchteten ,Raum der Stille'. Beide Angebote werden allerdings kaum in Anspruch genommen. „Vor allem möchten es die Obdachlosen natürlich gemütlich haben und gut essen“, erklärt Hella Wilkening, die Leiterin der Bahnhofsmission. „Die Befriedigung der Grundbedürfnisse steht an erster Stelle. Das Geistliche ist da erstmal nicht so wichtig.“

Katharina Borchardt