Ich sind immer zwei

Punktgenaue Körpersprache, komödiantischer Charme und sehr harmonisches Zusammenspiel: Anna Hubers und Kristyna Lhotákovás neues und viel Konzentration einforderndes Tanzstück „two, too“ im Theater am Halleschen Ufer

Das Unglück des Zuschauers ist sein Theatersessel. Träge sinkt man im Gestühl zusammen, schaut und hört. Dabei verschwindet der Rest des Körpers in einer dumpfen Lethargie, die Unbehagen auslöst. Besucher von Rock- und Popkonzerten haben es da besser: Sie können dieses Unbehagen wenigstens partiell durchbrechen, sie können sich bewegen, können headbangen, mit dem Fuß wippen, in der Mosh-Pit verschwinden oder hinten an der Theke Bier holen.

Bei „two, too“, dem neuen Tanzstück von Anna Huber und Kristyna Lhotáková, ist die eigene Passivität bald vergessen. Sicher muss man, wie immer im Theater, ruhig sitzen bleiben. Doch die Darbietung verlangt höchste Konzentration, denn sie reduziert die theatralischen Mittel, also Bühnenbild, Licht, Ton, Kostüme, auf ein kaum noch zu unterbietendes Minimum. Und verlässt sich auf die Präsenz der Bewegung.

Dank des klaren meisterhaften Ausdrucks der beiden Tänzerinnen gelingt dieses Unterfangen auch. Es gibt nichts Gefälliges, kein Dekor für das schweifende Auge, und, bis auf einen Song am Ende des Stückes, keine Musik. Das Bühnenlicht ist fahl und wechselt kaum, der Bühnenraum beschränkt sich auf ein vier Quadratmeter großes Rechteck. In diesem agieren Huber und Lhotáková, und alles richtet sich auf ihre tanzenden Körper, die in grauen Hosen und blauen T-Shirts stecken. Sie vermessen die weiße Linie des Rechtecks, gleiten hinab, legen sich hin, stehen auf, gehen einen Schritt und wiederholen die Prozedur.

Sie stehen da, mit verdrehtem Arm, und schauen trotzig ins Publikum. Dann plötzlich reißt die kontrollierte Mechanik der Bewegungen auf, und die Tänzerinnen kullern, rutschen, springen übereinander, wie Kinder, die im Spiel ihre Grenzen austesten.

Um die Erkundung einer Sozialisation geht es in „two, too“ um zwei Ichs, die sich plötzlich finden, kurz zusammenkommen, sich wieder verlieren, um erneut zu suchen. Die Reflexion des Eigenen und des Anderen, von Nähe und Distanz, von Gleichheit und Fremdheit durchdringt den Tanzstoff des Stückes. Wer will, der kann das als Studie über Individualität und dessen Symbiosefähigkeit mit der Umwelt lesen.

Man muss aber auch nicht über Freiheit und Vereinsamung nachdenken. Man kann die Abstraktion als solche stehen lassen, man kann sich dem eigenwilligen Reiz des Bewegungsmaterials hingeben und über die punktgenaue Körpersprache der beiden Tänzerinnen, ihren komödiantischen Charme und ihr harmonisches Zusammenspiel staunen.

In der durch Strenge und Kargheit bestimmten Situation entfaltet sich nämlich die Anmut einer nicht mehr „schön“ sein wollenden Geste, jener Geste, die nicht affirmieren, schmücken und erzählen will.

Huber und Lhotáková lassen das hinter sich. Bereits in dem 1999 produzierten Stück, „Die Anderen und die Gleichen“, Hubers erster Gruppenchoreografie, arbeiteten die Schweizer und die tschechische Choreografin, die mittlerweile beide in Berlin leben, zusammen. Bei „two, too“ ist der Zuschauer gefordert, er kann sich dabei ganz gut im Zen üben. Denn, noch einmal gesagt, das Stück verlangt höchste Konzentration. Und es ist schön.

JANA SITTNICK

„two, too“ läuft noch heute, ab 20 Uhr, im Theater am Halleschen Ufer, Kreuzberg