Zerfließe, mein Herze

Im Foyer der Sophiensaele tobt der ganz normale Ehekrieg: „Giftmörderinnen“ kostet die ewige Schreckensgeschichte der Zweisamkeit aus

Ein Tisch, zwei Stühle, im Hintergrund weht leise ein weißer Vorhang. Ein Stillstandsbild von entrückter Friedlichkeit: So unbedarft, so brav und schlicht muss das Ideal bürgerlicher Lebensgestaltung aussehen. Aber wie bei jeder verbrämten Idee, tobt auch hinter dieser harmlosen Fassade der Irrsinn ungelöster Widersprüche, fordert das ungelebte Leben sein Recht.

Wir sitzen im Foyer der Sophiensaele, hören Else Rinx und Erika Runk zu und begreifen schnell, dass von trauter Zweisamkeit hier keine Rede sein kann. Was auf den ersten Blick vertrauensselig scheint, ist nur der trügerische Doppelgänger scheinbarer Geborgenheit: Wie alle Abbilder ist auch dieses ein Zerrbild. Denn mit Else und Erika lauschen wir in die Untiefen des alltäglichen Abgrundes und stöbern im Fundus unerfüllter Sehnsüchte.

Die beiden bizarr kostümierten Damen sind verheiratet, unglücklich und Opfer ihrer Biografie. Es sind zwei Menschen, die sterben – während das Leben läuft. Aus Verzweiflung und Langeweile bündeln sie die Rudimente ihrer Gefühle und ihres Willens zur letzten Tat: Sie reden und phantasieren sich in schwindelnden Dialogen den Untergang ihrer Männer herbei. Dem „Gift auf der Welt“, wie sie sagen, legen sie Gegengift. Den Ehegatten schwindet das Leben und den Mörderinnen damit der Handlungsspielraum. Nach dem Totschlag ist ihnen auch der letzte Halt verschwunden: Sie haben vernichtet, was sich wenigstens noch verabscheuen ließ. Jetzt bleibt nur der Selbsthass und damit die Selbstauslöschung. „Giftmörderinnen“, eine tragische Geschichte urewigen Musters.

Daniela Kranz und Jenke Nordalm erzählen sie in ihrer Inszenierung nach dem gleichnamigem Roman von Elfriede Czurda weder rührselig noch flapsig. Und schon gar nicht moralisch. Dem einstündigen Abend geht es nicht um Männeranklage, auch nicht um Weltverachtung. Es geht ihm um die Risiken und Nebenwirkungen zwischenmenschlicher Begegnungen: Die Liebe kann tödlich sein, die Ehe eine Hölle. Wer wüsste das nicht. Und wer wollte das nicht vergessen. Mit einfachsten theatralischen Mitteln ist eine Etüde über das unvergängliche Thema der missglückten Sinnsuche entstanden: Es gibt noch immer kein richtiges Leben im falschen. Es gibt nur die Kette von Katastrophen, die über Missverständnisse und Lächerlichkeiten zum Tod führt. Wie auf der Bühne: Lara Körte und Anna Stieblich balancieren ihre Frauenfiguren immer am Abgrund entlang, und was wie eine lasche Lesung beginnt, steigert sich zu einem pulsierenden Bühnenuniversum. Getragen von einer derb wie kunstvoll verfremdeten Sprache, die mitunter an den österreichischem Dramatiker Werner Schwab erinnert, blättert diese wunderbar vieldeutige Inszenierung durch des Buch des Lebens und schreibt an einer Schreckensgeschichte der Zweisamkeit.

Zum Schluss stehen die Protagonistinnen am Grab, und aus den Lautsprechern tröpfelt leise „Zerfließe, mein Herze“, die Sopranarie aus Bachs Johannes-Passion. Ein böser wie ironischer Doppelpunkt hinter einen schneidenden Abend.

DIRK PILZ