Adele ist schwanger

■ Bremen ist Sitz einer Gesellschaft, deren Kürzel sich niemand merken kann. Die DGzRS rettet seit fast 150 Jahren Wattwanderer, Skipper und Seehundbabys – am Mittwoch fischte sie einen Passagier des Unglücksflugzeuges von Bremerhaven aus dem Wasser

Dies ist eine wohlwollende DGzRS-Geschichte. Einerseits tun die Leute ja nichts Schlimmes. Im Gegenteil: Am 2. Weihnachtstag waren sie bei der Rettung der Passagiere des Unglücksflugzeuges von Bremerhaven dabei. Andererseits stand vor gut zehn Jahren mal in der taz, die Feuerlöschkanonen auf den Rettungskreuzern ließen sich im Nullkommanix in Geschütze umwandeln. Nichts für ungut.

GPS, Echolote, Peilanlagen, mindestens zehn Telefonhörer für alle möglichen Funkfrequenzen und und und – das Cockpit der „Hermann Rudolf Meyer“ sieht wie irgendwas zwischen Nasa-Zentrale und der Kommandobrücke von Raumschiff Enterprise aus.

Mittenmang prangt trotzdem noch ein gutes altes Steuerruder – das wird aber nur benutzt, wenn die Technik versagt. Wenn nicht der Autopilot das Boot steuert, lenkt Käpitän Ulrich Fader mit einem gut zahnstochergroßen Joystick. Fader lapidar: „Wir fahren nicht mit Freddy Quinn zur See.“ Sein Job ist Retten, bis der Arzt kommt. Und Warten, bis der Fall der Fälle eintritt. Fader ist Chef der in Bremerhaven stationierten „Hermann Rudolf Meyer“, einem der 60 Rettungsboote der in Bremen ansässigen Gesellschaft, deren Kürzel sich niemand so richtig merken kann.

„Wir haben oft über einen neuen Namen nachgedacht – und sind immer zu DGzRS zurückgekommen“, meint Andreas Lubkowitz, Pressemann der Deutschen Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger. Denn: „Das trifft es am genauesten.“

Ein Routinetag. Die „Hermann Rudolf Meyer“ fährt von Bremerhaven weserabwärts Patrouille. Der Südwestwind peitscht, Stärke sieben bis acht, in Böen sogar bis neun. Die Gischt sprüht, das Schiff schaukelt Landratten in Richtung Seekrankheit. Die Kajen mit den Bananenfrachtern liegen steuerbord, backbord die grüne Tonne, wo noch Anfang Dezember ein Mann über Bord eines Schleppers gegangen ist. Das Meer ist um die 15 Meter tief, meldet das Echolot. Brrrrr. Als die Seenotretter kamen, war der Mann schon wieder an Bord. Ein paar warme Decken, heißer Tee, nette Worte – ein typischer DGzRS-Einsatz. „Wir haben ihn nur zum Arzt gebracht“, sagt Kapitän Fader.

Ein fast unterkühlter Süddeutscher, den alle „den Schwaben“ nennen. Fader hat abgetriebene Surfer gerettet, Wattwanderer eingesammelt, Seehundbabys und vermisste Boote gefunden. Bei Windstärke 13 ist er auf eine leckgeschlagene Segelyacht gehechtet, damit das Boot samt Besatzung nicht auf eine Sandbank trieb. Aber Fader ist kein Heldentyp. Abenteuerlustig? „Nö, ich will mein Geld ja auch noch ausgeben können.“

Wenn in der Elbmündung zwei Containerschiffe aufeinanderknallen, bei Rügen eine Fähren in der Ostsee kentert, vor der Weser ein Fischkutter manövrierunfähig auf die Untiefen der Nordergründe zutreibt, sind die DGzRS-Kollegen zur Stelle. Überall zwischen Borkum im Westen und Ueckermünde im Osten sind die Boote stationiert. Im vergangenen Jahr rückten die Retter 2.300 mal aus, bargen 580 Menschen aus Seenot.

Auch am Mittwoch rückte die Bremerhavener Mannschaft aus, um die abgestürzte Propellermaschine zu retten. 10.20 Uhr gab es Alarm, elf Minuten später fand die „Hermann Rudolf Meyer“ ein paar Wrackteile und einen der drei bislang gefundenene Passagiere. Im Beiboot „Christian“ wurde er zum Rettungswagen am Lotsenponton gebracht. Zu spät. Der Mann starb an der Kälte und seinen Verletzungen. „Seit Neujahr 1995 hatten wir nicht mehr so einen schweren Unfall“, sagt Pressesprecher Lubkowitz. Damals starben zwei DGzRSler im Orkan westlich von Borkum.

Auch die Bremerhavener Aktion steuerte die DGzRS-Zentrale am Stadtwerder. „Theoretisch könnten wir auch auf der Zugspitze sitzen“, sagt Lubkowitz und meint damit, dass die Technik Einsätze sozusagen von der ganzen Welt aus koordieren könnte. Aber: Der erste Vorsitzende der 1865 gegründeten Organisation war der Gründer des Norddeutschen Llyod, Konsul H.H. Meyer – ein Bremer. So sitzen die Seeretter noch heute im Binnenland.

Trotz Kürzel kennt fast jeder die DGzRS: Wegen der bundesweit 24.000 beige-roten Sammelschiffchen, die in Kneipen, Metzgereien oder Kramläden auf Spenden warten. Ausgerechnet ein Schiff in einer bayerischen Frauenarztpraxis wirft wahnwitzige Gewinne ab. Alle paar Monate ruft der Arzt den Spendensammler an und sagt das Codewort: „Adele ist schwanger, kannst kommen“. Bis zu 2.000 Mark pro Jahr sind im Gyn-Schiffchen.

Allerdings steuern die Sammelboote nur sechs Prozent zum DGzRS-Etat (2001 waren das 32 Millionen Mark) bei. Der Rest kommt von den 400.000 Mitgliedern.

Das kümmert Ulrich Fader heute kaum. Es ist kurz vor zwölf Uhr, der Kapitän und seine dreiköpfige Crew essen Mittag. Manchmal muss es ganz schön langweilig sein an Bord. In diesem Jahr hatten die Bremerhavener Retter erst rund 60 Einsätze. Aber sie warten gern.

Und geben derweil Tipps gegen das Meeresproblem Nummer 1 – die Seekrankheit. Der Kapitän: „Wir haben Zäpfchen an Bord. Wasser trinken oder eine halbe Scheibe trocken Brot tun es aber manchmal auch.“ Kai Schöneberg