Lob der Langeweile

■ Werder setzt auf die Kraft des Kollektivs – mit Erfolg

Ein bissel merkwürdig ist es schon: Da avanciert eine Mannschaft ohne Stars und ohne riesigen Etat zum besten Team des Jahres, schlägt die vermeintlichen Top-Favoriten in Reihe, legt eine Siegesserie hin, die die heimischen Fans verzückt – und worüber reden sich die Kollegen Experten unter den berufsmäßigen Beobachtern der Bundesliga die Köpfe heiß? Über die Krise der Bayern. Über die Herren Ballack und Kehl und das Gezerre zwischen den Dukatenscheißern der Liga. Hoeneß hier, Meier da, Calmund mittenmang. Sie schwadronieren über Hitzfelds hormonelle Havarien, über Wasweißich und Gottunddiewelt. Nur nicht über Werder. Ein bissel merkwürdig ist es schon. Aber symptomatisch. Und unter uns: Es ist gar nicht so verkehrt. Denn das Geheimnis des Bremer Erfolgs hat viele Namen. Es heißt zuvörderst Schaaf, das sowieso, es hat die Namen vieler Spieler. Es heißt aber vor allem: Provinz. Werder siegt, weil Werder so grässlich langweilig ist.

Man muss sich nur mal erinnern: Selbst in den allerbesten Bremer Fußball-Zeiten war Werder medial bestenfalls Mittelmaß. Stars, Glamour, überregionale Schlagzeilen, Theaterdonner, Hollywood, das gab's immer nur bei den anderen. Rudi Völler – zum umjubelten Star wurde er aber erst nach Werder. Rune Bratseth – ein Weltklassefußballer, gemerkt haben das viele, nur gesagt hat s kaum jemand. Ach, und Marco Bode und Dieter Eilts! Als ob Bescheidenheit und mediale Unlust Einstellungsvoraussetzungen bei Werder wären! Nun gut, Willi Lemke gab gerne mal den sozialdemokratischen Polemiker gegen den Erzfeind von der Isar, und Otto Rehhagel durfte den schrulligen Fachmann mimen. Aber insgesamt kam Werder jenseits der Außenlinie nicht vor.

Wer wollte, konnte diesen grässlich unmodernen Umstand beklagen: dass der Verein so nie in die Spitzenklasse aufsteigen könne, dass Langeweile und Geschäft mit der Show sich nicht vertragen, dass Werder Millionen und Abermillionen durch die Lappen gehen... Vergebene Kritik, denn eines war ja nicht wegzudebattieren: dieser wundersame sportliche Erfolg.

Da ahnen wir doch, dass gerade diese beiden Umstände in Bremen untrennbar zusammengehören: Langeweile und Siege. Mal so und andersrum gefragt: Welche Chancen hat ein Verein wie Werder Bremen überhaupt, den Anschluss zu den Topteams der Liga zu halten? Viele sind's nicht.

Erstens: Sicher kann auch Werder immer mal wieder Glück haben und einen wirklichen Extraklassemann entdecken, der Spiele entscheiden kann. Pizarro war der letzte dieser Fälle. Aber erstens reicht einer von der Sorte eben nicht aus, und zweitens gibt's Legionen fußballhistorischer Präzedenzfälle, in denen Mannschaften trotz überragender Einzelkönner den Weg in Liga zwo antreten mussten. Redet heute noch wer von Darius Wosz? Wer erinnert sich noch an Alain Sutter? Und wie oft musste der überragende Andy Köpke den tragischen Abstiegshelden spielen? Verlassen kann man sich auf die Stars nicht.

Zweitens: Werder kann ökonomisch den Dortmunder Weg einschlagen, ins millionenschwere Risiko gehen, kann reihenweise Spitzenkräfte zusammenkaufen und beten, dass am Ende eine siegreiche Mischung dabei herauskommt. Das hat beim BVB einmal punktgenau geklappt. Just als der Verein finanziell so klamm war, dass die Spielergehälter nur knapp gezahlt werden konnten, gewann das Team die Champions League und war saniert – wegen der Millionentruppe. Dagegen ist der BVB auf diesem Weg einmal der Katastrophe nur knapp entronnen: Im Sommer vergangenen Jahres wären der Revierkrösus beinahe abgestiegen – trotz der Millionentruppe. Ein Vabanque-Spiel also, und eines, das Werder nicht spielen kann. Ein Blick auf die Landkarte genügt, um die Bevölkerungsdichte und die ökonomischen Möglichkeiten der Region um den BVB zu erahnen. Werder dagegen kickt im wirtschaftlichen Notstandsgebiet Küste. Da finden sich keine goldenen Nasen, aus denen man Sponsoren-Millionen und Marketingmittel ziehen könnte.

Werder bleibt gar nichts anderes übrig, als – drittens – auf die Kraft des Kollektivs zu setzen. Die Phrase wird bei jedem zweiten Interview bemüht: Wenn jeder für jeden kämpft, wenn jeder bereit ist, den Fehler seines Nebenspielers auszubügeln, dann können auch große Mannschaften geschlagen werden. Die Einsicht ist so abgedroschen wie wahr. Werder beweist es gerade. Am deutlichsten vielleicht mit dem Wechsel von Krisztian Lisztes auf Andreas Herzog.

Herzog und Lisztes: Zwei feine Techniker mit dem Blick für den richtigen Pass, beide durchaus torgefährlich – aber damit haben sich die Gemeinsamkeiten auch schon erschöpft. Der Herzog der vergangenen Jahre war ein schlecht gelaunter Solist, der immer wieder sich selbst und vor allem seine Mitspieler angrantelte, der immer wieder den Ball forderte, um ihn wie unter Zwang zur Großartigkeit zu Verdaddeln oder ins Nirwana zu passen, der Defensivarbeit bestenfalls in drei Alibiaktionen pro Spiel leistete. Wie anders Krisztian Lisztes:Nicht weniger Künstler als Herzog, aber eben auch ein Arbeiter, immer unterwegs, immer bereit, den Ball zu erobern, immer auf der Höhe des Spielgeschehens. Wenn Herzog längst stehengeblieben wäre und abgewunken hätte, geht Lisztes immer noch auf den ballführenden Gegner. Mannschaftsdienlich! Vorbildlich! Großartig! Das hatten viele Experten so nicht erwartet. Dabei – und das ist wohl auch spielentscheidend – ist Lisztes eher still und bescheiden, keiner für die Showtreppe. Kurzum: ein Werderaner alten Schlags. Herzog dagegen gibt mittlerweile nur noch Interviews. Während die Mannschaft siegt.

Was wäre nun aber, wenn Lisztes Theater machen würde, wenn Frings nun tatsächlich dem Lockruf des Geldes erliegen würde und sich unwiderstehlich fände, wenn Tjikuzu wie letztes Jahr von Starallüren geplagt würde... was wäre also, wenn Werder die frisch erspielte Breitbrüstigkeit nach bajuwarischem oder Dortmunder Vorbild in Glamour, überregionale Schlagzeilen, Theaterdonner, Hollywood verwandeln würde? Platz sieben. Bestenfalls. Was zu beweisen war.

Sollen sie doch reden über Hitzfelds Hormone und Kehls Millionen. Gelobt sei die Provinz und die Schlauheit von Thomas Schaaf.

Und Dieter Eilts wollen wir noch mal spielen sehen!

Jochen Grabler