Sag mir, wo die Blumen sind

Glamour ohne Geheimnis: Ute Lemper stand im Zentrum der großen Marlene-Dietrich-Revue im Friedrichstadtpalast. Gerade in ihrer handwerklichen Perfektion aber zeigte sich, woran die ganze Würdigung der deutschen Diva laborierte

Sie macht nichts falsch. Jeder Ton sitzt, die Phrasierungen klingen entsprechend passend. Ihr Haar kaum frisiert, ihre Gesten sparsam, ob mit Händen, Beinen oder Hüften. Ute Lemper ist der Star der Marlene-Dietrich-Revue im Friedrichstadtpalast, und das Publikum findet das gut. Es sympathisiert am Ende stehend und heftig applaudierend, Bravo rufend, mit dieser Revue – und dieses Einvernehmen gilt in erster Linie der Lemper.

Ach, die Lemper. Es war zumindest, auch mit ihr, einen Versuch wert, das Leben der Marlene Dietrich mit einer Collage zu würdigen. Und wo, wenn nicht im Friedrichstadtpalast? Ein Showorchester mit großem Können, eine Tanztruppe, die sich auf sichere Choreografien, auf die chorus line, auf die Kunst der tausend schwingenden Beine versteht. Hinzu geladen wurden Künstler, die in irgendeiner Form in solch einen Rahmen passen. Katja Riemann sang einen Blues, der Tenor Erkan Aki knödelte „La vie en rose“ (ohne dass einem klar war, was nun dieses Piaf-Chanson mit der Dietrich zu tun hat), Angelica Domröse las aus Marlene-Briefen vor, Meret Becker quietschte „Paff, der Zauberdrachen“, das Duo Marshall & Alexander ölte „Where Have All The Flowers Gone“, als wär’s ein Stück von Peter Hofmann, und ein Herrenquintett namens Hudson Shad versuchte sich als Comedygruppe, etwa mit einem Slapstick unter dem Titel „Mein blondes Baby“. Engagiert war auch Joy Fleming, die aber gar nicht erst so tat, als wäre sie mit den Couplets der Dietrich aufgewachsen. Ihr Beitrag zu den Berliner Jubelfeierlichkeiten zum Thema „Die Dietrich wäre 100 Jahre alt geworden“ drückte sich in drei Stücken aus, unter anderem in einem gehauchten „Ich weiß nicht, zu wem ich gehöre“ und in einem a capella gesungenen, Gott sei Dank nicht übertrieben stimmangeberischen „I’ll Never Love This Way Again“.

Insgesamt kaum Langeweile, die Künstlerinnen taten, was ihnen von Regisseur Jürgen Nass aufgegeben wurde. Die Lemper hingegen zeigte, woran die ganze Chose insgesamt laborierte. Es fehlte ihr an dem, was ja überhaupt erst den Mythos Marlene begründete: an einer Art Geheimnishaftigkeit, einer Differenz zwischen öffentlichem Wissen und privat Wahrhaftigem, am Unterschied zwischen der kühlen Frau und der ersehnten, aber nie erfüllten Nahbarkeit, an der Ambivalenz zwischen dem Bild von der Preußin und der Patriotin in Diensten der Antinazis.

Die Tragik ist wohl, dass, selbst wenn alle Geschichten zum Thema „Die Dietrich“ erzählt worden sein sollten, die zum Thema Lemper oder Riemann längst nicht mehr gehört werden wollen. Insofern lag es auch nicht am sterbenden Genre der Showtreppenrevue, dass diese Inszenierung kaum gelingen konnte. Im Gegensatz zur Lemper oder zur Riemann oder zu welcher Sängerin auch immer sang Marlene niemals nur takt- und tonsicher. Und anders als ihre Epigoninnen zeichnete die Dietrich auch so etwas wie kontrollierte Leidenschaft aus, keineswegs nur handwerkliche Perfektion.

Weil eben die Lemper keine Fehler macht, weil sie so überaus vernünftig gut „Ich bin von Kopf bis Fuß“ singen kann, wird aus ihr nie eine Lola. Denn der Hass vieler Deutscher auf Marlene gehörte ja mit zum Charisma dieser Sängerin. In Deutschland wird niemand mehr gehasst, aber auch kein Star mehr geliebt. Das kriegt die Lemper durch keine astreine Interpretation aus der Welt. Blumen für die Künstlerinnen am Schluss, sie taten das, was ihnen möglich ist.

JAN FEDDERSEN