Ein guter Vorsatz für uns alle

Große Schreibtische und Stühle haben sie behalten – trotzdem sind Chefs nicht mehr das, was sie einmal waren

Jüngere Leser können sich das vielleicht nicht vorstellen, aber es gab einmal eine Zeit, in der Kicker keinesfalls zu einer normalen Büroausstattung gehörten und in denen die Leute, die mehr Geld verdienten als andere, „Vorgesetzte“ hießen. Man bekam sie selten zu Gesicht, weil sie zurückgezogen und hinter verschlossenen Türen arbeiteten. Sie hießen Herr Sowieso oder, damals noch seltener, Frau Sowieso – aber auch ihre Untergebenen hießen Herr Hümmsendrümmsen oder Frau Hümmsendrümmsen. Man siezte sich gegenseitig. Wenn Vorgesetzte etwas besprechen wollten, sagten sie am Telefon: „Frau Hümmsendrümmsen, kommen Sie bitte in mein Büro“ und riefen nicht etwa, weil ihre Tür ohnehin allen und damit leider immer offensteht: „Katja? Katja? Katja! Hast du mal einen Moment?“

Auch wäre es den Vorgesetzten niemals eingefallen, sich auf die Kanten von Angestelltenschreibtischen zu hocken, die unterste Schublade des Rollschranks herauszuziehen, die Füße darauf abzustellen und „Na, hattest du ein schönes Wochenende?“ zu fragen bzw. „Warst du eigentlich auf der Teenage-Rampage-Party? Ich wollte ja erst, aber ich musste ja noch das Briefing vorbereiten und Katjas Mailing-List checken. Leider ist es dann total spät geworden, und weil ich hier am Sonntag noch eine Weile in Ruhe arbeiten wollte, bin ich dann lieber nach Hause gefahren, noch ein paar Stunden entspannen. Aber erzähl mal, war die Party gut?“ Mit Herrn oder Frau Sowieso dagegen wären wir bis zur Konferenz oder einem Abgabetermin kaum ins Gespräch gekommen. Es sei denn, ein besonders freudiges oder besonders unangehmes Ereignis hätte das nötig gemacht. „Ah, übrigens: Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag!“ fand sich selbstverständlich im Repertoire der Sowiesos; ebenfalls gebührliche Anteilnahme: „Es tut mit sehr leid, das von ihrem Vater zu hören. Ich hoffe, es geht ihm bald besser.“ Das mag etwas steif klingen, war aber besser so, denn inzwischen haben sich die Verhältnisse verkehrt: Steif wirkt nur noch das Personal, wenn die Chefetage, von Gefühlen übermannt, den Körperkontakt sucht. Während Frau Sowieso uns zum Beispiel allenfalls die Hand gedrückt hätte, bevor wir in die Ferien fuhren, knetet heutzutage Angelika „Geli“ Sowieso erst strahlend unsere Unterarme und nimmt dann mit zwei Küsschen auf die Wange Abschied: „Ich wünsche dir eine ganz, ganz tolle Zeit im Urlaub, viel Spaß und so richtig gute Erholung!“, sagt sie, und dann darf man endlich gehen.

Das Angestelltenantatschen hat noch keine lange Tradition. Es existiert erst, seitdem Chefs geliebt werden wollen – ein hoffnungsloses Unterfangen, wie Herr und Frau Sowieso noch wussten. Damit nun auch die neuen Vorgesetzten lernen, wie man sich zu benehmen hat, sollten Arbeitnehmer einen guten Vorsatz für das Neue Jahr fassen: Schluss mit den Bussis und dem Begrabbeln! Abstand wahren, notfalls fürs Erste eine Erkältung vortäuschen! Kollegen unterstützen: Ne touche pas mon copain! Und 2003 hören wir mit dem Duzen auf.

CAROLA RÖNNEBURG