Der Frieden ist nur eine Frage des Preises

Zwischen Indern und Pakistani schwelt der Konflikt um Kaschmir. Zwischen Palwindea Singh und Mahood Tahir köchelt der Streit um die Kunden. Das Angebot der beiden Imbissbetreiber in Friedrichshain unterscheidet sich nur in Nuancen. Hier wie dort gilt: Nur Verhandlungen bringen eine Lösung

Tahir: „Ich wollte ihm eine Lehre erteilen“Singh: „Er wollte uns fertig machen“

von JAN ROSENKRANZ

Die Grenze zwischen Indien und Pakistan ist eine dünne Wand aus Gips. Links der Wand, im „Punjabi-Imbiss“, werden indische Spezialitäten angeboten, rechts der Wand, im „Namza-Snack“, gibt es pakistanische. Und wie in Vorderindien schwelt auch hier in Berlin-Friedrichshain, Gabriel-Max-Straße Nummer 2, ein Konflikt. Seit fünf Monaten. Man hat so manche Schlacht schon vor Gericht geschlagen, doch im gastronomischen Krieg ist die schärfste Waffe der Preis. Hier geht es nicht um Kaschmir, hier geht es ums Geschäft.

Mahood Tahir, kräftige Statur, dichtes schwarzes Haar, kurzer Stoppelbart, hievt Kisten aus dem Kofferraum des BMW und schleppt sie in sein Restaurant. Der „Namza-Snack“ ist ein schmaler Schlauch, am Ende eine Theke mit Bedienung, dahinter die Küche samt Koch. Decke und Wände sind mit Strohmatten verkleidet, und flach über den wenigen Tischen hängen kleine gelbe Lampenschirme. Alles noch neu.

Vor 38 Jahren wurde Mahood Tahir in Lahore, Punjab, Pakistan geboren. Vor 20 Jahren musste er das Land verlassen. Weil er Ärger mit der Polizei bekam, weil er politische Plakate geklebt hatte, weil die Falschen an die Macht gekommen waren. In Deutschland fing er dann als Tellerwäscher an, hat Handzettel verteilt und Geld gespart. Heute gehören ihm zwei kleine Restaurants und ein Imbiss zur Hälfte. Man könnte sagen, Mahood Tahir hat es geschafft. Wenn da nur nicht der Ärger mit dem indischen Nachbarn wäre. Hier und in der Heimat.

Seit dem Anschlag auf das Parlament in Neu-Delhi drehen sich alle Gespräche nur noch um Kaschmir, Krieg und Krise. Und die Atombombe. Täglich telefonieren er und seine Mitarbeiter mit Freunden und Verwandten in der Heimat. Zum Glück kostet die Minute nur noch 70 Pfennig, nicht mehr vier Mark. Mahood Tahir sagt: „Am Tisch lassen sich alle Probleme lösen. Man muss nur verhandeln wollen.“ Für das Gabriel-Max-Straßen-Problem gilt im Grunde das Gleiche: verhandeln, denn auf Dauer wird niemand den Krieg gewinnen.

Dabei geht es nicht um Kochkultur. Zwar essen Inder kein Rindfleisch und Moslems kein Schweinefleisch, doch ansonsten unterscheiden sich die Kochkünste in nichts. Nur, dass sich die Marke „indisch“ einfach besser verkauft. Wer kennt schon pakistanische Küche? Die Inder sagen: „Same, same but different.“ Mahood Tahir sagt: „Ich wette, dass die meisten indischen Restaurants in Berlin eigentlich pakistanische sind.“

Seit über fünf Jahren führt nebenan der Inder Palwindea Singh sein Imbiss-Restaurant „Punjabi“. Vor einiger Zeit hatte bereits ein Landsmann nur hundert Meter die Straße hinab ein Restaurant eröffnet, groß und hell. Das war ärgerlich. Doch als dann vor fünf Monaten der Pakistani hinter die Gipswand zog, platzte dem Inder der Kragen. Das war zu viel. Palwindea Singh hat sich beschwert beim Vermieter und den Nachbarn beim Gewerbeamt angezeigt wegen unerlaubter Konkurrenz und Gebietsschutz. Gab es da nicht einmal eine Vorschrift in der Gewerbeordnung, welche die Anzahl ähnlicher Geschäfte pro Straße limitierte? Es gab einmal. Doch sie wurde aufgehoben, und Palwindea Singh verlor den Streit.

Singhs lächelnder Angestellter hinter dem Tresen des „Punjabi“ trägt weder Bart noch Turban und ist trotzdem Sikh. Wie er heißt, möchte er eigentlich nicht verraten, aber wie alle Sikhs trägt auch er den Nachnamen Singh. Das bedeutet Löwe. Auf dem Herd hinter Herrn Singh blubbert ein großer Topf mit Yogi-Tee, dessen Duft sich mit dem schweren Geruch süßer Räucherstäbchen vermengt. In den Regalen lagern Lychees in Dosen und Mango-Chutney im Glas. Orange leuchtende Plakate verkünden von rosa gestrichenen Wänden das Menü: Kashmiri Chicken, 9 Mark 50. Gegenüber kreischen quietschbunte Götterposter. Alles nicht mehr ganz neu, aber so echt, als hätte Chef Palwindea das gesamte „Punjabi“ in Indien in einen großen Container gestopft und in Berlin wieder ausgepackt. Der Chef hat leider keine Zeit, aber man könne gerne mit ihm, dem anonymen Herrn Singh, reden. Schließlich arbeitet er schon seit drei Jahren hier und macht sich so seine Gedanken zum Konflikt mit dem pakistanischen Nachbarn. „Das mit der Anzeige war ein Fehler, hat alles nur schlimmer gemacht“, sagt Herr Singh. Viel Schlechtes könne er über den Nachbarn eigentlich nicht sagen, außer dass er seine Speisen zum halben Preis verschleudert und dass es ihn überhaupt gibt.

Herr Singh stammt wie sein Chef aus Amritsar, Punjab, Indien. Er sagt: „Nach 1984 ist es schwierig geworden.“ Damals hatten sich Sikh-Separatisten in ihrem größten Heiligtum, dem Goldenen Tempel von Amritsar, verschanzt. Die Premierministerin Indira Gandhi gab den Befehl zur Erstürmung. Aus Rache dafür wurde sie von ihren Leibwächtern, zwei Sikhs, ermordet. Daraufhin kam es in Delhi zu Pogromen gegen Glaubensbrüder. „Indien war kein guter Platz mehr zum Leben“, fasst Herr Singh knapp zusammen. Ein paar Jahre später kam er nach Deutschland und schließlich zu Palwindea Singh und seinem Restaurant. Auch wenn die Arbeit wenig Geld bringt – man hält zusammen und ist unter sich. Bis vor fünf Monaten.

Ursprünglich wollte der Pakistani gar nicht in pakistanischer Küche machen, sondern Friedrichshain mit Minipizza und Schawarma beglücken. Doch dann schlug der Inder von nebenan einen solchen Alarm – da hat es sich Mahood Tahir noch einmal anders überlegt. Nix Minipizza-Imbiss, sondern hübsches Restaurant mit großem Schild über der Tür. Das pries zunächst nur „Pakistanische Spezialitäten“. Doch nach kurzer Zeit erweiterte er das Angebot noch um die Worte „Indische &“ – seither beißt Herr Singh vor Wut an seinen Nägeln. „Ich wollte ihm eine Lehre erteilen“, sagt Herr Tahir. „Er wollte uns fertig machen“, sagt Herr Singh.

Eigentlich wissen beide Seiten, dass sie sich nun langsam wirklich einigen müssen. „Es wäre das Beste, wenn er verkauft“, sagt Herr Singh und nickt mit dem Kopf nach nebenan, „dann übernimmt mein Chef den Laden.“ Mahood Tahir sagt: „Alles nur eine Frage des Preises.“ Dann könnte Herr Singh die dünne Wand einreißen und sein Lokal vergrößern. Dann könnte endlich wieder Frieden herrschen – wenn schon nicht in Kaschmir, dann doch wenigstens in der Gabriel-Max-Straße 2.